Ich date in Mustern. Die passiv-aggressiven Männer mit den großen Problemen sind mein Typ. Ihnen eine starke Schulter zu sein, sehe ich als meine Aufgabe an. Ich will mich in ihrem Leben unverzichtbar machen und gerate so immer wieder an meine Grenzen. Von der Sucht, gebraucht zu werden.

Luis* ist 20 Jahre alt, studiert Tonsatz, will später hauptberuflich Musik für Videospiele produzieren und arbeitet momentan als Klavierlehrer. Robert* holt mit 24 sein Abitur an der Abendschule nach und fährt tagsüber mit dem Rettungswagen durch Berlin. Sie kennen sich nicht, doch beide kennen mich. Mit Robert war ich ein Jahr lang zusammen, Luis beendete vor Wochen unsere Freundschaft-Plus. Abseits von ihrer Leidenschaft für Volleyball haben sie kaum etwas gemein, außer dass sie mich nicht ehrlich lieben können.

In seinen depressiven Phasen lädt Robert all seinen Kummer bei mir ab und spricht von einer „gesunden Aufopferung für die Beziehung“. Luis dagegen kompensiert sein Leid mit Kälte und Kontrolle. Doch zurück zum Anfang. Als ich sie kennenlernte, fand ich keinen von ihnen besonders attraktiv, trotzdem war ich nach gut einer Woche jeweils über beide Ohren verknallt. Ich lachte viel zu laut über mittelmäßige Witze und hörte ihnen stundenlang zu, wenn sie von sich erzählten. Denn sie sind mein Typ. Ich stehe auf Menschen, die viel reden und vor allem über sich. Menschen, die ich womöglich interessanter finde als mich selbst. Menschen, die mehr einfordern als sie geben können und solche, die hinter der Fassade zerbrechlich sind.

In der psychologischen Forschung heißt es, wer wieder und wieder denselben Fehler begeht, dessen Intuition folgt bestimmten Mustern. Der erste Schritt zur Veränderung bestünde laut der Psychotherapeutin Gitta Jacob darin, „unsere psychischen Muster ernst zu nehmen und ihre Bedeutung innerhalb der eigenen Lebensgeschichte zu verstehen“. Die ehemalige Professorin der Universität Freiburg ist nicht die Einzige, die im Feld frühkindlicher Erfahrungen forscht. Die Psychologin Stefanie Stahl geht davon aus, dass in der Kindheit erfahrene Kränkungen sich einprägen und unbewusst unser gesamtes Beziehungsleben bestimmen.

Die Sehnsucht hinter der Sucht 

Ich will mich dieser Perspektive einmal annehmen. Menschen wie Robert und Luis gibt es zuhauf in meinem Leben. Ich generiere meinen Selbstwert über meine Hilfestellung, die ich ihnen und vielen anderen ungefragt zukommen lasse. Ich mache mich im Leben anderer unverzichtbar, dazu suche mir die Instabilsten aus. Robert als auch Luis unterdrücken monatelang eine direkte Konfrontation mit ihren Problemen, bis sie psychosomatisch werden. An dieser Stelle habe mich von ihnen und ihren Launen bereits abhängig gemacht. Dabei wollte ich doch nur die starke Schulter sein, an der sie sich ausweinen können. Warum? Vielleicht weil ich mich selbst nach einer Umarmung sehne.

Ich bin in einer Familie mit Alkoholproblemen groß geworden. Meinen Bezugspersonen fiel es schon immer schwer, Gefühle zu zeigen. Vor allem, wenn sie betrunken waren. Eine Stabilität in meiner Kindheit war dagegen die immer präsente Hoffnung, dass nichts passieren würde, wenn ich die Zügel in der Hand behielte. Ich dachte lange Zeit, dass, wenn ich mich doch nur noch ein Stückchen mehr anstrenge, es in meiner Familie so etwas wie bedingungslose Liebe gäbe. Schon in jungen Jahren hielt ich uns zusammen und übernahm so Verantwortung. Ich brachte nur gute Noten nach Hause und engagierte mich ehrenamtlich. Doch selbst als ich bei größtem Liebeskummer mimte, tough zu sein, bekam ich kein warmes Wort zu hören.

So gewohnt toxisch

Damals gab ich mein letztes Hemd für meine Familie, heute habe ich sie durch Menschen ersetzt, die ihnen viel zu ähnlich sind. Als Kind eines Alkoholiker-Haushalts kann man mich in einen Raum voller Menschen sperren, am Ende des Abends würde ich mich wohl mit denen anfreunden, die entweder ein Drogenproblem haben, von sich selbst zu sehr beziehungsweise gar nicht überzeugt oder passiv-aggressiv sind. Ich fühle mich zu diesen Menschen hingezogen, denn ich bin süchtig. Wenn ich mich vollkommen dem Problem eines anderen verschrieben habe und tatsächlich Erfolge verzeichne, dann fühlt es sich an wie ein Rausch. Das Belohnungszentrum in meinem Gehirn stößt Dopamin aus. Doch am Morgen danach kommt der Kater.

Ich wollte mich immer wieder von Robert trennen, doch hatte ich mich im Laufe der Zeit zu so einem festen Bestandteil in seinem Leben etabliert, dass es ihn in die Verzweiflung trieb, womöglich nicht mehr auf mich bauen zu können. Mit Luis war es Monate später ganz anders und doch so gewohnt toxisch. Denn obwohl wir offen über meine Sucht, gebraucht zu werden, sprachen, litt ich mit der Zeit unter Stimmungsschwankungen und brach am Ende unserer „Beziehung“ sogar zusammen. Seit Wochen herrscht nun Funkstille und ich fühle mich wie auf Entzug.

Ich habe Sehnsucht nach jemandem, der mich anscheinend nicht liebt. Doch selbst darüber könnte ich hinwegsehen, denn wenn ich mich doch nur noch ein Stückchen mehr anstrenge – und schwupps greifen sie wieder, die Muster. Sich selbst unabdingbar und zum Ruhepol im Sturm zu machen, hat mir geholfen, meine Kindheit zu überstehen. Mein Körper kennt allein diese an Arbeit geknüpfte Liebe. Sie ist mir vertraut und ich bin abhängig von ihr. Doch letzten Endes habe ich mich von Robert trennen können und mich auch nicht für Luis aufgegeben. Entgegen der Gewohnheit habe ich in den letzten Monaten versucht, nicht krampfhaft tough zu sein. Und vielleicht ist das sogar schon der zweite Schritt raus aus den eigenen Mustern.


*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. 

Foto: Jackson David/unsplash.com