Der kauzig-komische Krimi der ARD „Sörensen hat Angst“ fürchtet sich nicht vor Tristesse und überzeugt vor bedrückender Dorfkulisse.
„Seitdem ich hier bin, ist es immer nur Pause machen oder Leiche.“
So hat sich Kriminalhauptkommissar Sörensen seine Versetzung von Hamburg ins ländliche Katenbüll, ein fiktives Städtchen in Friesland, nicht vorgestellt. Er wollte einfach nur weg. Den Hamburger Stress und damit gleich noch seine Angststörung hinter sich lassen.
Doch daraus wird nichts. Schon am ersten Tag werden Sörensen (Bjarne Mädel), seine Kollegin Jenny (Katrin Wichmann) und Polizeianwärter Malte (Leo Meier) zu einem Mord gerufen. Der Bürgermeister sitzt erschossen in seinem Pferdestall.
Nach Rollen in den Kinofilmen „Gundermann“ und „25 km/h“ versucht sich Bjarne Mädel im Regiefach. Für sein Debüt hat sich Mädel einen Roman von Sven Stricker ausgesucht, der auch als Drehbuchautor mitwirkte. Die Rolle des Sörensen hatte Stricker bereits 2018, für die Hörspiel-Adaption des Romans, auf Mädel passend zugeschnitten. Mit langen Landschaftsbildern und einer einnehmenden Geräuschkulisse inszeniert Mädel die Geschichte.
Nach und nach entspinnt sich der Dorfkrimi, immer weitere Einzelheiten eines düsteren Geheimnisses werden gelüftet. Im Zentrum steht Sörensen, wie er mit dem Auto in der trostlosen und endlos verhangenen Weite von Friesland ankommt, von Dienststelle zu Tatort, von seinem kargen neuen Zuhause zum Dorflokal „Deichkrug“ und vom Dorfbewohner mit Alkoholproblem zum Fleischereiunternehmen „Fleischeslust“ rotiert.
Sörensen ist das alles zu viel, er kann die ständig auf ihn einprasselnden Umweltreize nicht filtern. Und wenn die Kamera in einer Großaufnahme Sörensens schmerzverzerrtes Gesicht zeigt, weil sich für ihn das Vogelgezwitscher wie ein Kreischen oder der Uhrenzeiger wie ein Donnern anhört, dann kreischt und donnert es auch aus dem Lautsprecher. Der Film nimmt sich viel Zeit, uns Zuschauer*innen die Angststörung nacherleben zu lassen. Wir beobachten Sörensen, wie er in eine Embryonalhaltung zusammen sinkt und halluzinieren mit ihm, als er eine Papierkugel hochwürgt, die sich anschließend in Luft auflöst.
„Sörensen hat Angst“ spielt in einer düsteren Welt. Der einzige Grund, sich nach dem Film nicht zitternd unter eine warme Dusche zu kauern, ist der nordisch-karge Wortwitz. Denn so ganz lässt sich Bjarne Mädel den trockenen Tatortreiniger-Humor nicht nehmen. Und das ist auch gut so und macht die Figuren liebenswert. Wie etwa Sörensen unbeholfen versucht, ein paar aufmunternde Worte für den Sohn des ermordeten Bürgermeisters zu finden: „Na, wie geht’s? Ich meine, geht’s irgendwie? Ah, ist auch ne Scheißfrage, ne?“
Der Film erzählt die Hintergrundgeschichten seiner Figuren ausführlich und hat so, trotz der schweren Motive Angststörung, Mord, Pädophilie, auch warme Momente.
Manche besonders pfiffigen Dialoge mögen ein bisschen zu künstlich, zu choreografiert wirken, aber unterm Strich funktioniert die Mischung aus dörflichem Horror, Drama und nordischem Humor. Den Darstellern gelingt der Balanceakt zwischen Ernst und Komik. Bjarne Mädel und Katrin Wichmann harmonieren und glänzen besonders in den skurrilen Anfangsszenen.
Viele andere sind bereits daran gescheitert, aber Mädel schafft es, Hauptdarsteller seines eigenen Films zu sein und beide Aufgaben zu meistern.
Am Ende haben wir einen originellen Film, der zwar nicht mit einem Happy End aufwarten kann, aber uns auch nicht ganz ohne Lichtblicke in den Alltag entlässt. Es ist eben nicht alles „kaputt“.
Deutschland 2020 · 89 min. · FSK: ab 18
Regie: Bjarne Mädel
Drehbuch: Sven Stricker
Darsteller: Bjarne Mädel, Katrin Wichmann, Leo Meier, Matthias Brandt, Anne Ratte-Polle u.a.
Bis zum 14. Juli in der ARD-Mediathek
https://www.daserste.de/unterhaltung/film/filmmittwoch-im-ersten/videos/soerensen-hat-angst-video-100.html