Rund 400 Auslandsstudierende hätte die HU-Berlin im Sommersemester 2020 normalerweise immatrikuliert. Wegen der Corona-Pandemie sind es nur noch 85. Und auch Berliner Studierende hatten sich ihr Auslandssemester ganz anders vorgestellt. Eine Mitarbeiterin des International Office der HU und vier Studierende berichten von ihren Erfahrungen.

Reebana Kusche (International Office HU)

„Erst dachten wir nur an ein paar Sicherheitsmaßnahmen, doch dann stellte sich die Frage: Können sie überhaupt kommen?“, sagt Reebana Kusche. Sie arbeitet im International Office der HU und betreut die Incoming Students. Für viele, die aus dem Ausland zum Studieren an die HU kommen, ist Kusche der Erstkontakt und mit jedem gibt es einen persönlichen Termin. Anfang März sollte es nach vier Monaten Vorbereitung losgehen und die neuen Studierenden sollten begrüßt werden. „Eigentlich hätten wir jetzt 400 Studierende immatrikuliert“, sagt sie.

Doch dann kam das Coronavirus nach Deutschland. „Man hat das nicht kommen sehen“, sagt Kusche. „Erst dachten wir nur an ein paar Sicherheitsmaßnahmen, doch dann stellte sich die Frage: Können sie überhaupt kommen?“
Kusche verweist auf die Ein- und Ausreisebeschränkungen die viele Länder aufgrund des Virus verhängt haben. Einige Universitäten schicken ihre Studierenden überhaupt nicht mehr ins Ausland. Das International Office rät zwar den ausländischen Studierenden dringend davon ab, das Semester anzutreten, doch eine klares Verbot nach Berlin zu kommen, gibt es nicht. „Einige hätten sich eine klare Entscheidung gewünscht“, sagt Kusche. Am Ende hat die HU zum Sommersemester 85 der 400 angekündigten ausländischen Studierenden immatrikuliert und auch viele Studierende, die bereits das Wintersemester in Berlin waren, haben versucht dort zu bleiben. Sie können an der HU, wie alle anderen Studierenden, an den Online-Kursen teilnehmen.

Die vielen ausländischen Studierende, die ihren Aufenthalt jetzt unterbrochen haben, bedeuten aber nicht nur fürs International Office eine Umstellung sondern auch für das Studierendenwerk, wie Kusche erzählt. Da es nun viele Stornierungen für Wohnheimzimmer gab, können diese nun deutsche Erasmus-Studierende erhalten, die bereits ihr Zimmer untervermietet haben. Doch wie ist es mit den denjenigen, die einen Auslandsaufenthalt noch planen? Kusche rät Erasmus-Aufenthalte möglichst weit nach hinten zu schieben: „Denn niemand weiß, wie sich die Lage entwickelt.”

Fanny Wintsch (Master Jura, Universität Genf)

Ohne Corona wäre Fanny Wintsch jetzt in Berlin und hätte ein Auslandssemester an der juristischen Fakultät gemacht. Doch nun ist die Schweizerin bei ihren Eltern in Genf. „Anfang März kam ich nach Berlin, traf einige Freunde und startete meinen Sprachkurs“, sagt sie am Telefon. Doch dann verbreiteten sich erste Nachrichten über eine Kontaktsperre. „Am 12. März sagte die Lehrerin in unserem Sprachkurs: Wir können nicht weitermachen und es ist unklar, wie es weitergeht. Vielleicht gibt es Online-Kurse.“ Am Sonntag den 15. März schließlich schloss die Schweiz ihre Grenze zu Deutschland. Fanny flog zurück nach Genf. Sie wollte bei ihren Eltern sein, falls jemand aus ihrer Familie krank wird. Jetzt kann sie an den Online-Kursen der Universität Genf teilnehmen.

Fanny Wintsch. Foto: Fanny Wintsch
Fanny Wintsch ist zurzeit bei ihren Eltern in Genf. Foto: Fanny Wintsch

Da Fanny ihren Erasmus-Aufenthalt abgebrochen hat, müsste sie eigentlich auch ihr Stipendium in Höhe von 1.600 Franken (rund 1.515 Euro) zurückzahlen. „Ich habe eine Mail bekommen, in der ich aufgefordert wurde, das Geld zurückzuzahlen. Allerdings habe ich bis heute keine Zahlung erhalten und muss entsprechend auch nichts zurücküberweisen“, sagt Fanny. Unklar ist aber weiterhin, was aus den Semestergebühren wird, die sie in Berlin bereits bezahlt hat. „Ich stehe in Kontakt mit der HU und hoffe, dass das Geld zurückgezahlt wird“, sagt sie. „Denn an meiner Uni in Genf musste ich für das Semester auch bezahlen.“ Fest steht für sie nur, dass sie nach Berlin zurückkehren will, wenn das möglich ist, um hier endlich das Auslandssemester zu absolvieren.

Wessel de Cock (Master Geschichte, Universität Leiden)

Wessel de Cock ist Anfang Februar aus den Niederlanden nach Berlin gekommen. Er war schon ein paar Mal zuvor als Tourist in der Stadt und wollte jetzt ein Auslandssemester an der HU absolvieren, um dort Geschichte und Philosophie studieren. Doch das durch Corona vieles anders wird, merkte er schon zu Beginn seines Sprachkurses: „Bereits am Anfang des Kurses wurden wir gefragt: Gibt es hier welche aus China, Italien oder Südkorea?“, erzählt er. Wessel war von dieser direkten Frage vor allen Kursteilnehmenden etwas irritiert, doch der Grund war wohl die Angst vor Corona.

Eine Woche später wurde klar: Es geht nicht weiter. Für viele Erasmus-Studierende, die jetzt erst ankamen, war es merkwürdig, Berlin so zu erleben.  „Für mich war das nicht merkwürdig, denn ich war ja schon ein paar Wochen da und kannte Berlin auch aus der Zeit vor Corona“, sagt Wessel. Er hatte zu Beginn seines Auslandssemesters viele andere Austauschstudierende kennengelernt, mit denen er sich gerne angefreundet hätte. Doch rund 90 Prozent von ihnen sind wieder gegangen, sagt er.

Wessel de Cock. Foto: Wessel de Cock
Wessel de Cock hat sich dazu entschieden, in Berlin zu bleiben. Foto: Wessel de Cock

Auch Wessel erhielt von seiner Uni eine Nachricht, dass er zurückkommen soll. Doch er entschied sich dagegen – er will die Kurse machen, damit er in einem Jahr sein Studium beenden kann. Zudem möchte er seine Mutter in Amsterdam nicht gefährden. Sie hat eine Lungenkrankheit und gehört somit zur Corona-Risikogruppe. Und da er sein Zimmer in Leiden untervermietet hat, müsste er bei ihr wohnen. Die Uni Leiden akzeptiert diese Entscheidung und schrieb nur, dass er alleine dafür verantwortlich ist. Zudem könnte Wessel jederzeit in die Niederlande zurückkehren, da die Grenze weiterhin offen ist.

Wessel ist zufrieden mit den Online-Kursen der HU. „Die Seminare mit Zoom funktionieren gut“, sagt er, auch wenn er das schlechte Internet in Deutschland kritisiert. „Das Niveau ist hier bei weitem höher  als in meiner Uni in den Niederlanden“, sagt Wessel. „Hier hat man mehr Freiheiten, ob man ein Essay oder eine mündliche Prüfung machen will und zudem sind die Kurse herausfordernder. Nur schade, dass man das nicht in echt erleben kann.“ Er hofft nun, dass er im Herbst noch ein weiteres Semester in Berlin belegen kann.

Kevin Sulgenbach (Master Deutsche Literatur, Humboldt-Universität zu Berlin)

Kevin reiste Anfang Januar mit dem Zug nach Paris, um an der Sorbonne Literaturwissenschaften zu studieren. Dass sein Erasmus-Semester ein jähes Ende finden würde, erfuhr er an einem Donnerstagabend in einer Pariser Bar. Da zeigte ihm jemand auf einem Smartphone, dass Macron das Land auf den Lockdown vorbereitet. „Der Präsident sagte: jetzt ist die Uni zu. Erst danach kamen nach und nach die Infos von den Dozenten.”

Es fänden keine Kurse mehr statt, man mache jetzt alles online“, erzählt der gebürtige Schweizer via Skype. Von der Schweiz aus arbeitet er jetzt die verbliebenen Online-Kurse der Universität ab, bis das Erasmus-Semester offiziell zu Ende ist. Kevin wollte vor allem der Isolation entfliehen. „Meine ganzen sozialen Kontakte waren eigentlich draußen, in der Uni oder in Bars, und ich habe gedacht: Okay, wenn das jetzt alles geschlossen ist, dann bin ich einfach alleine in dieser Wohnung, und ich kann keine Leute sehen.“ Noch am Wochenende vor dem Lockdown entschied sich Kevin dafür, die Stadt zu verlassen. Einige seiner Freunde fuhren mit ihm in die Pyrenäen. Dort besaß jemand, den er kannte, ein Ferienhaus. Von dort wollte man die Entwicklungen abwarten.

Kevin Sulgenbach. Foto: Kevin Sulgenbach
Kevin Sulgenbach erfuhr in einer Pariser Bar vom angekündigten Lockdown. Foto: Kevin Sulgenbach

Paris war für ihn keine Option mehr. Sein letzter Besuch in der französischen Hauptstadt glich eher einer formellen Abwicklung: Wohnung kündigen und Koffer packen. Zum Abschied blieb keine Zeit, weil man niemanden treffen konnte. Dafür gab es genügend andere Dinge, um die er sich kümmern musste. „Ich musste mir überlegen, was ich mit den Büchern machen sollte, die ich mir ausgeliehen hatte. Ich konnte die ja nicht zur Bibliothek bringen und ich hatte auch keine Zeit auf die Post zu gehen. Ich musste ja alle meine Sachen packen und dann habe ich einfach alle Bücher mitgenommen und mir gedacht, dass ich die irgendwann zurückschicke“, erzählt Kevin. 

In der Schweiz angekommen, begab er sich auf Empfehlung des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit zehn Tage in die Isolation. Dafür kam er in einer befreundeten WG unter. Nach Berlin zurückzukehren ist für Kevin derzeit keine Option, weil er sein Zimmer für die Zeit des Auslandssemester untervermietet hat.

Sofia Moissiades (Master Bauingenieurwesen, Technische Universität Berlin)

Sofia flog Anfang März nach Argentinien, um an der Universidad de Buenos Aires ein Semester Architektur zu studieren. Ihr Aufenthalt dauerte etwas mehr als einen Monat. Wie Urlaub fühlte sich diese Zeit jedoch nicht an. Wenige Tage nach ihrer Ankunft hatte die Pandemie auch Südamerika eingeholt. „Ich hatte quasi nur fünf Tage in Freiheit. Die restlichen Tage meiner Zeit in Argentinien musste ich in häuslicher Quarantäne verbringen.“

Wie streng die argentinischen Ausgangsbeschränkungen waren, erfuhr Sofia über das Fernsehen. Wer als Europäer direkt aus Europa eingereist war, musste sich zuerst für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Reisepässe wurden streng nach ihren Einreisestempeln kontrolliert. Schnell merkte Sofia, dass die Stimmung mit dem Virus kippte und sie und ihre Kommiliton*innen öfter gefragt wurden, wo sie herkommen. „Man merkte, dass sie wissen wollten, ob du eigentlich in Quarantäne sein müsstest oder nicht. Auch im Supermarkt wurde man misstrauisch angeschaut oder einmal mehr Abstand zu einem gehalten, wenn man die Landessprache nicht perfekt beherrschte“, erzählt Sofia. 

Sofia Moissiadis. Foto: Sofia Moissiadis
Sofia Moissiadis kam bereits Anfang April nach Deutschland zurück. Foto: Sofia Moissiadis

Die Pandemie traf die Universität und Studierende unvorbereitet. Zuerst wurde von allen Studierenden aus dem Ausland der Reisepass samt Einreisestempel als Scan verlangt. Kurz darauf verkündete die Universität, dass der komplette Semesterstart auf Mitte Juni verlegt würde. Für Sofia war es undenkbar, die Hälfte ihres Auslandsaufenthaltes auf den Semesterstart zu warten. Online-Angebote: Fehlanzeige.

So entschied sie sich bereits Anfang April wieder nach Deutschland zurückzukehren. „Ich bin froh wieder hier zu sein, obwohl es natürlich schade ist, dass ich mein Auslandssemester abbrechen musste. Aber im Nachhinein gesehen habe ich nur von einem auf den anderen Tag gelebt und immer auf neue Entwicklungen gewartet. Insgeheim wusste ich, dass es keinen Sinn machen würde bis August dort zu bleiben, aber es war natürlich schwer dies einzusehen.“