Gerade einmal rund 15 Prozent der Studierenden wählen ihre Vertretung. Und das, obwohl diese viel Geld zu verteilen hat. Immer wieder kommt es zu Finanzskandalen wie derzeit in Kassel. CORRECTIV hat die letzten Wahlen aller Universitäten ausgewertet. Bei den Schlusslichtern nehmen nicht einmal 5 Prozent der Studierenden teil.
Wahlen fallen aus, weil es nicht genug Kandidaten gibt. Parlamentssitzungen werden abgebrochen, weil zu viele Abgeordnete vor Ende nach Hause gehen. Und vor allem: Kaum jemand unter den Studierenden in Deutschland nimmt an den Wahlen der universitären Demokratie teil.
So wählten 2019 nach einer CORRECTIV-Recherche an den etwa 70 staatlichen Universitäten mit einer Verfassten Studierendenschaft durchschnittlich gerade einmal knapp 14 Prozent der Studierenden ihr Parlament, ihren Rat oder entsprechende Gremien. Die Recherche ist die erste Datenauswertung dieser Art. An der Spitze liegt die Universität Lübeck mit 38,8 Prozent, zu den Schlusslichtern zählt die Universität Ulm mit 4,3 Prozent. Und die Berliner Humboldt-Universität: Hier liegt die Wahlbeteiligung seit fast 20 Jahren im einstelligen Bereich.
Die Vertretung der Studierenden an deutschen Universitäten wählt eine studentische Regierung, die an manchen Hochschulen Allgemeiner Studierendenausschuss, kurz AStA, heißt. Unter studentischen Vertreterinnen und Vertretern herrscht viel Ratlosigkeit über die Gründe für das mangelnde Interesse. Denn teilweise haben Studierendenschaften mehr als eine Million Euro im Jahr frei zur Verfügung.
„Es gab so bestimmte Momente, wo mir die Verantwortung bewusst geworden ist“, berichtet Lisa Bolten, bis vor kurzem an der Universität Lüneburg AStA-Sprecherin, über den Moment, in dem sie ein Semesterticket über 700.000 Euro vereinbarte. Die Finanzreferenten von Studierendenschaften hantieren oft mit sechs- bis siebenstelligen Beträgen. Eine Ausbildung haben sie dafür in der Regel nicht.
Alle Wahlbeteiligungen an deutschen Universitäten im Jahr 2019 findet Ihr hier.
„Studierendenschaften haben zwei große strukturelle Probleme“, sagt der auf Hochschulrecht spezialisierte Jurist Peter Lynen. „Die studentischen Vertreter sind Amateure und ihre Amtszeiten sind kurz – in der Regel nur ein Jahr.“
Die allermeisten ASten nutzen das Geld der Studierendenschaft für wichtige Projekte, die Studierenden helfen. Gerade in der Corona-Krise sind sie häufig die ersten Anlaufstellen für Studierende in Not. Doch nicht alle werden der Verantwortung gerecht.
Ein Grund für den schlechten Ruf der Studierendenschaften sind die Skandale, die immer wieder das Vertrauen in die studentische Demokratie erschüttern. Auch an der Universität Wuppertal kam es bereits zu Unregelmäßigkeiten bei StuPa-Wahlen. So wurden 2017 vermutlich knapp 250 Wahlzettel gefälscht, was gut 16 Prozent der abgegeben Stimmzettel entspricht. Ein ehemaliger Finanzreferent der Technischen Hochschule Mittelhessen täuschte 2015 sogar einen Raubüberfall vor, um zu vertuschen, dass er knapp 75.000 Euro aus den Geldern der Studierendenschaft veruntreut hatte. Einzelne Studierendenschaften veranstalteten in den vergangenen Jahren Großprojekte, die zur finanziellen Katastrophe wurden. Wie etwa 2007, als der AStA der Universität Bochum mit einer Party rund 200.000 Euro Verlust machte. Oder 2012, als eine hessische Studierendenschaft mit einem Sommerfest 50.000 Euro verlor.
Aktuell gibt es einen besonders schwerwiegenden Fall an der Universität Kassel: Der dortige Studierendenschaft soll jahrelang seine Steuerverpflichtungen ignoriert haben. Es geht um zehntausende Euro.
„Das war ein riesiger Schock“, erzählt Sophie Eltzner, seit August 2019 AStA-Vorsitzende in Kassel. Sie arbeitet seit Beginn ihrer Amtszeit die Finanzprobleme ihrer Studierendenschaft auf. Im November 2019 reichten einige AStA-Mitglieder eine steuerliche Nacherklärung für die Jahre seit 2006 beim Finanzamt ein. Beteiligte sprechen von Selbstanzeige. Die Studierendenschaft zahlte gleichzeitig vorsorglich rund 300.000 Euro an das Finanzamt.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation mit dem Recherchezentrum CORRECTIV. Das unabhängige Recherchezentrum CORRECTIV arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden. Mehr unter correctiv.org. (Anm. d. Red.)