Visar Morinas Exil bietet einen spannenden Beitrag zur ‘Alman’-Debatte, spielt dabei aber gewaltig mit dem Feuer.

Für eine lange Zeit sieht es so aus, als handele es sich bei Exil um eine präzise Antwort auf die Alman-Diskussion, die zu Beginn des Jahres durch deutschsprachige Social Media geisterte. Diskussion ist hier durchaus euphemistisch zu verstehen, hat man doch das Gefühl, die Debatte sei nur von Leuten losgetreten worden, für die ihre Mitmenschen mit Migrationshintergrund über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, Kanak*innen gewesen sind; Leute, die nur darauf warteten, als Alman oder Kartoffel bezeichnet zu werden, um sich darüber endlich mal zu echauffieren, was in diesem Land so alles falsch laufe. Für eine lange Zeit sieht es danach aus, als gelänge Visar Morina (Babai) hier ein großer Wurf, indem ein undurchsichtiger, aber eben nicht minder ansässiger Rassismus beschrieben wird. 

Der aus dem Kosovo stammende Xhafer (Mišel Matičević, Im Angesicht des Verbrechens), so macht es den Anschein, hat sich gut in das deutsche Reihenhausvorstadtidyll integriert. Er arbeitet für einen mittelständischen Pharmahersteller, hat eine Frau (Sandra Hüller, Toni Erdmann), Kinder und steht, ganz obligatorisch, in einer Fehde mit der Schwiegermutter, der er Rassismus ihm gegenüber vorwirft. Doch im Büro scheint sich die Stimmung zu verändern.

Sandra Hüller in Exil. © Komplizen Film

Als er wiederholt, scheinbar versehentlich, aus Mailverteilern ausgeschlossen wird, sodass er im Dunkeln bleibt, als Meetings kurzfristig in andere Räume oder zu anderen Uhrzeiten anberaumt werden; als ihm ein Mitarbeiter passiv-aggressiv zu verstehen gibt, dass er von ihm nur das absolut Mindeste an Zusammenarbeit zu erwarten habe, entfaltet sich bereits ein trübes Unbehagen. Als der Rattenphobiker Xhafer eines Tages seinen Briefkasten öffnet und ihm tote Laborratten entgegen fallen, als einmal gar der Kinderwagen, wenngleich ohne Kind, in Flammen steht, wird ihm das Ausmaß der Situation vollends bewusst. Und während er in allen versteckten und offensichtlichen Angriffen auf ihn rassistische Motive vermutet, gibt seine Frau zu bedenken, dass es womöglich nicht an seiner Herkunft liege, sondern die Leute ihn einfach als Mensch nicht mögen.

Hier kommen wir dem Kern des Filmes etwas näher. Denn Xhafer ist keineswegs der makellose Protagonist nichtdeutscher Herkunft, wie man ihn aus den unerträglichen Integrationskomödien kennt. Recht früh erfahren wir, dass er seine Frau Nora mit einer Putzfrau auf der Arbeit betrügt, mit der allein er Albanisch spricht. Indes hat er für ihre Probleme mit der Arbeitserlaubnis und dem Visum allenfalls ein halbes Ohr offen.

Zwischen Paranoia und Xenophobie

Das Problem mit Exil ist, dass von einer Gesellschaft ausgegangen wird, die den Rassismus überwunden hat. Beinahe ist man geneigt zu sagen, dass Regisseur Morina den neuen Rechten hier in die Karten spielt, indem Rassismus im Grunde nur noch wie ein Relikt vergangener Tage erscheint – wer sich heute nicht durchsetzt, solle es doch bitte nicht auf angebliche mangelnde Chancengleichheit schieben. Als der Film die Möglichkeit aufwirft, er könnte in seiner Paranoia alle Deutschen unter Generalverdacht stellen, kippt das Konzept. Was ärgerlich ist, weil davon ausgegangen werden kann, dass es Visar Morina alles andere als darum gelegen ist, eine solche Geschichte zu erzählen. Weil unglückliche Drehbuchentscheidungen dazu führen, dass spannende Alltagserfahrungen Xhafers, die die Grenzen eines sublimierten Rassismus und bloßer Unbeholfenheit ausloten, so weit in den Hintergrund rücken, dass man schon die Linse mit Extra-Dioptrien aufsetzen muss, um sie erkennen zu können.

Zum einen wird da, irgendwo, der Kapitalismus als ultimativer Gleichmacher verhandelt, der die äußeren Unterschiede vermeintlich aufhebt und den Konflikt auf der Arbeit zu einem ökonomischen macht. Besonders in der Auseinandersetzung mit Arbeitskollege Urs (Rainer Bock) lässt sich das erkennen, hinter dessen Abneigung gegen Xhafer sich mehr verbergen mag als bloße Fremdenfeindlichkeit. 

Zum anderen lässt sich hieraus eine Geschichte um mangelnde Solidarität stricken, in der  Xhafer bereits selbst mehr Alman ist, als er es sich eingestehen will. Als Mitarbeiter im mittelständischen Unternehmen mit Einfamilienhaus, einer Ehefrau, die er auf der Arbeit betrügt und seinen Kindern, könnte er kaum mehr dem Prototyp des deutschen Vorstadtmannes entsprechen. Die Affäre befindet sich als Reinigungskraft indes weit unter ihm im Hierarchiegefälle, und es scheint fast so, als habe er in all dem Anpassungsdrang vergessen, wie es ist, gesellschaftlich schwächer gestellt zu sein.

Man wünschte sich bisweilen, jemand hielte Xhafer Max Czolleks Desintegriert Euch unter die Nase. Dieser blinde Fleck eigener Opferstilisierung ist nicht uninteressant, doch verdreht der Film durch die Möglichkeit, die Affäre könne in all die privaten Angriffe auf ihn involviert sein, Täter*innen und Opfer. Die Mehrheit, so legt es Morinas Film nahe, hatte die ganze Zeit Recht: die Minderheit habe all die Probleme herbeigeführt. 

Und so ist es denkbar tragisch, dass Exil seine sorgsam ausgelegten Fäden nicht ganz zusammenführen kann, dass er die großartige Sandra Hüller (Toni Erdmann) verschwendet und dass ihm letztlich vor allem an einem Twist gelegen ist, für den er eine durch den jüngsten Anschlag auf Hanau umso notwendigere Debatte opfert. Letztlich, so scheint es Exil zu sagen, solle man das Boot besser nicht ins Wanken bringen und vor der eigenen Türe kehren. Und das ist schade.

Exil

Regisseur: Visar Morina

Filmlänge: 121min

Produktionsländer: Deutschland, Belgien, Kosovo