In Kathrin Weßlings zweiten Roman Nix passiert ist der Titel Programm. Die Anlage für ein gelungenes Generationenporträt versumpft im Klischee.

Wenn vom Roman einer Generation zu hören ist, sollte man die Lauscher spitzen. Denn dem ZEIT-Magazin Autor Christoph Amend gilt Kathrin Weßlings erster Roman Super und dir als ebensolches Generationenporträt. Darin beschreibt Weßling den Alltag einer jungen Berlinerin, die an Prekarität, Selbstausbeutung und exzessivem Rausch sich zu Grunde zu richten scheint.

Doch auch abseits akademisch-alternativer Metropolität leben junge Menschen mit anderen Lebensentwürfen, die das Konstrukt einer homogenen Generation wackeln lassen. Weßlings neuer Roman Nix passiert lässt sich daher gewissermaßen als eine Fortsetzung ihres Erstlings lesen, in dem sie sich nun aus der Stadt auf das Land begibt und verschiedene Lebenswelten aufeinander prallen lässt. 

Der Ausgangspunkt ist, natürlich, Liebeskummer: Ihr Protagonist, diesmal männlich, Alex, Anfang dreißig, notorisch unzufriedener Webentwickler, steht in einem Trümmerhaufen. Jüngst verließ ihn Jenny, nach einjähriger Beziehung. Fortan läuft der Ich-Erzähler Alex mit ihrem Arm in der Brust, wie er es beschreibt, durch Berlin, voller Furcht ihr begegnen zu können. Bereits beim Versuch Tinder zu installieren, um sich eventuell über den Verlust hinwegzutrösten, bricht Alex in Tränen aus. Die Sache ist also ernst. Was macht man in einer solchen Krise? Genau, man quartiert sich bei den Eltern ein. Alex verlässt also Berlin und reist nach einer gefühlten Ewigkeit in die Heimat. Nach Braus, die verhasste Kleinstadt. Aus der er nach dem Abitur regelrecht floh. 

Ein fleichgewordener Vice-Artikel

Der Ausgangspunkt der Handlung ist altbekannt und wirft die Frage auf, ob die Autorin es schafft, ihr neue Seiten abzuringen. Einerseits ja. Andererseits nein. Weßlings Prosa ist sehr dynamisch. Sie schreibt nicht um den heißen Brei herum und schert sich nicht um sprachliche Verschnörkelungen. Alex Kummer und Gedankenschleifen sind direkt und körperlich. „Jede Erinnerung ist aus Stacheldraht, wie soll ich jemals wieder glücklich werden, wenn mich schon Weißwein an sie erinnert, wenn sogar einfach nur am Leben zu sein sich wie Selbstverletzung anfühlt?”

Weßling schreibt  in der Immanenz einer rasch konsumierbaren, netzaffinen Millenial-Sprache, irgendwo zwischen Twitterpostings, Blogbeiträgen (mit denen Weßling auch ihre schriftstellerische Vita begann) und Bento-Artikeln; voll von Anspielungen auf RTL-Formate und Anglizismen. Auch Alex erkennt selbstironisch, dass seine inneren Monologe klingen wie ein Vice-Artikel. Man kann diesen Ton erfrischend finden und als Wiedergabe eines Soziolekts goutieren, aber seien wir ehrlich: auf die Dauer nervt es auch. 

Während der Ton des Romans Geschmacksache bleibt, ist das größte Ärgernis die Konventionalität von Nix passiert. Weßlings Roman kennt keine Überraschung und umarmt das Klischee. Alles in diesem Buch ist so, wie man schon immer dachte, dass es so ist. Alex ist nach dreißig Seiten auserzählt. 

Lamentieren ist seine einzige Passion. Seine weinerliche Ich-Bezogenheit, so nachvollziehbar sie in Trennungssituationen sein mag, unreif. Einem alten Schulfreund, der in einer Bar arbeitet, gibt er bewusst viel Trinkgeld, „um seinen Bossmove zu übertrumpfen, weil ich so ein erbärmliches Würstchen bin […]“. Für einen über dreißigjährigen Menschen ist das unausstehlich albern.

Zum Schluss des Buches erlebt Alex zwar seine Epiphanie, diese kommt aber ohne nennenswerte Entwicklung wie aus dem Nichts und ist deshalb so vorhersehbar. Gleiches gilt für den Epilog, der so versöhnlich ist, dass man sich fragt, wo dieser Geisteswandel plötzlich herkommt? Es scheint, als hätte der Roman plötzlich irgendein, leider uninspiriertes Ende finden müssen.

Nix passiert: Simple Dualismen

Die anderen Protagonisten Alex Eltern, sein Bruder, Jenny, ehemalige Schulfreunde und Bekannte sind in Alex Welt eigentlich nur Abziehbilder. Der Bruder ist in der Heimat geblieben und ist als Alex Gegenpart glücklich verheiratet und hat eine Tochter. Die Mutter ist betulich und besorgt um ihren Sohn, versteht aber nicht was los ist, der Vater ist schweigsam und distanziert. Jenny ist für Alex ohnehin an allem Schuld. Mehr braucht er über seine Nächsten nicht zu wissen. Und mehr erfahren auch die Leser*innen nicht.

Die Kleinstadtbewohner, das sind für Alex hauptsächlich Hinterwäldler, Bullys und Homophobe, die seine vermeintliche Andersartigkeit nicht verstehen. Nicht Mal vernünftigen Techno kennen die! „Gibt es ‘ne Gästeliste?” frage ich reflexhaft, weil ich es nach zehn Jahren Berlin so verinnerlicht habe, dass eine persönliche Einladung zu einem Event auch gleichzeitig bedeutet, dass es gratis Gästelistenplätze gibt.” Das ist sehr holzschnittartig konstruiert. Alex hingegen ist sensibel, macht Yoga und kauft Soja-Joghurt (“Quatsch” sagt dazu seine Mutter). Gleichwohl daran nichts auszusetzen ist und glücklicherweise traditionelle Geschlechtertypen unterläuft, ist es aber wiederum so stereotyp Berlin-Mitte, dass das Alex nicht vielschichter macht. 

In der Kleinstadt haben scheinbar alle einen vernünftigen Job, schlagen nicht über die Stränge, feiern manchmal zu Schlager im Dorfzelt, leben routiniert von der Krippe bis zur Bahre in spießigen Beziehungen in noch spießigeren Reihen- und Einfamilienhäusern, Mutter-Vater-Kind, nine to five, so ist es normal. Die Großstadt aber, die ist aber krass. Die Partys, die Exzesse, das Koks, die Frauen, „heute Späti, morgen Birgit&Bier, übermorgen im Kater hängen“; eine einzige „FOMO” (Fear of missing out). Über diese simplen Zuschreibungen von Lebenswelten kommt Nix passiert nicht hinaus. Für Alex ist alles schwarz und weiß. Bekanntlich kommen Klischees nicht von ungefähr (umso schlimmer für die Wirklichkeit!), für einen Roman ist das aber zu unterkomplex. 

Wenn es das Ziel des Buches ist, die Arroganz und Selbstverleugnung von Großstädtern und die Weltfremdheit jüngst Verlassener darzustellen, dann ist das hervorragend gelungen. Nix passiert erzählt auch intensiv von Zweifeln und dem Scheitern an den Ansprüchen, die die Pflicht nach Selbstverwirklichung erzwingt. Alex erkennt an, dass das Leben in Berlin ihm nicht gut tut, er sehnt sich nach der kleinstädtischen Friedhofsruhe. Trotzdem schafft er es nicht sich zu lösen. Er ist zu sehr in den eigenen, engen Zuschreibungen und Dualismen gefangen. Hierin ist der Roman durchaus ein Selbst- und Zeitporträt. Gleichwohl einer Gegenwart die befremdet.

 Etwas innovatives hat das Buch jedoch weder über Liebeskummer und über das Spannungsverhältnis zwischen den Generationen noch zwischen Stadt- und Landbewohnern zu sagen. Dazu ist die Anlage des Romans sowie Alex Selbst-und Weltwahrnehmung  zu simpel gestrickt. Die Widmung die Kathrin Weßling Nix passiert voranstellt, verrät es im Grunde schon: „Für mich”. Wer wie Alex in allem nur sich selbst sieht, sieht am Ende nichts mehr.


Kathrin Weßling: Nix passiert
Ullstein Verlag 2020
240 Seiten, Paperback. 18,00€