We hold these truths to be self-evident” ― unter diese Prämisse verbringen wir einen Tag in einer Spelunke abseits der Casinos von Las Vegas.

Es gibt Menschen, die betrachten das Kino als Fenster, und dann gibt es Menschen, die betrachten es als Spiegel. Einerseits wollen wir uns als Zuschauer*innen in neue Dimensionen begeben, wollen andere Leben führen, an Orte reisen, die uns andernfalls womöglich für immer verschlossen blieben. Wir wollen andere Sprachen hören, wollen uns fremden Kulturen begegnen und uns in andere Geschlechter hineinversetzen. Schlicht, wir wollen Perspektiven einnehmen, die wir andernfalls nicht in der Lage sind einzunehmen.

Die andere Seite der Medaille ist dann die Begegnung mit dem Vertrauten. Der Film als Spiegel der Gesellschaft ist dann am stärksten, wenn wir unser Spiegelbild nicht wiedererkennen und uns doch eingestehen müssen, dass es unser Spiegelbild ist.

Geht man von diesen Auffassungen zum Kino aus, so fällt es auf den ersten Blick schwer, gute Argumente für Bloody Nose, Empty Pockets zu finden. Beim Sundance 2020 in der Kategorie Documentary angelaufen, handelt es sich hier, so unwahrscheinlich es nach der Sichtung auch erscheinen mag, um einen inszenierten Film. Die Geschichte über einen der letzten Tage einer Bar, ab vom Strip in Las Vegas, erzählt nicht und sie hält auch nicht lediglich fest. In dem Wissen, dass all die Darsteller*innen dieses Films sorgfältig von den Ross-Brüdern gecastete nunmal Darsteller*innen sind und in dem Wissen, dass die im Mittelpunkt stehende Dive Bar, die doch so wahrhaftig ist, dass man meint, der kalte Zigarettenrauch würde sich einem in der Jacke festbeißen, in New Orleans eigens für den Film gebaut und designt wurde, fällt es schwer, diesen Hang-out-Film als Dokumentation anzuerkennen.

Denn wer jemals eine Nacht in einer Kneipe verbracht hat, über den Punkt hinaus, als es alle anderen längst nach Hause verschlagen hat; wer sich schon einmal aus heiterem Himmel in die Barfrau verliebt hat, als diese, den Wunsch von den Lippen ablesend, ungefragt nachschenkte; wem das neue Bier die Zunge löste und intimste Befindlichkeiten verbalisierte; wer erlebt hat, wie Freunde innerhalb weniger Sekunden zu Feinden wurden, weil ein falsches Wort gefallen war, nur um sich dann wieder in den Armen zu liegen, als die Jukebox die richtige Melodie anstimmt; wer jemals spürte, wie sich das eigene Zeitgefühl verflüchtigte, wie der stehende Zigarettenrauch Vergangenes und Gegenwärtiges, Ängste und Wünsche, Traumata und Sehnsüchte in sich vereinte und deren Unterschiede mit jeder anlaufenden Stunde nivellierte; ja wer mit all dem vertraut ist, wird in Bloody Nose, Empty Pockets nicht mit einem Blick aus dem Fenster belohnt.

It was good while it lasted.”

Als Spiegel taugt diese Pseudo-Dokumentation da schon eher, wenngleich sie nicht vor eine intellektuelle Herausforderung stellt. „We hold these truths to be self-evident”, heißt es eingangs, und tatsächlich könnte man kaum einen Film finden, der einen Tag in einer Bar besser in einen Film übersetzte. Eine dieser angekündigten Wahrheiten mag sein, dass diese Bar, die in Kürze geschlossen werden muss, ‘wahrscheinlich eh wieder einem CVS weichen wird’. Oder als ein alter Stammgast darüber aufklärt, dass nicht der Alkohol sein Leben ruiniert habe, sondern dass er erst zum Alkoholiker geworden sei, nachdem jenes in die Brüche gegangen war.

Und so geht es eben immer weiter, vom Morgen, zum gemeinsamen Mitraten während einer Fernseh-Quiz-Show, über zum Schichtwechsel hinterm Tresen, infolgedessen der Barkeeper einfach die Seite wechselt und zum Gast wird, während sich der Raum zunehmend füllt, je näher wir den Abendstunden kommen. Eine merkwürdige Kraft zieht sie alle an diesen Ort. Den Kriegsveteran, den es schmerzt, dass ihm, seit seiner Rückkehr, niemals die Anerkennung für seinen Dienst zuteil wurde, die er sich erhofft hatte; für den die Bar ein Ort sei, wo er endlich hinein passe.

Den alten Mann, für den es selbst zu spät ist, der aber dem angehenden Schauspieler dazu auffordert, die Bar schleunigst zu verlassen und gar nicht auf die Idee zu kommen, in die nächstbeste zu gehen. Der American Dream, so heißt es während einer der vielen alkoholgetränkten Konversationen, kondensiere sich letztlich in der Aussicht auf ein unreifes, unbeschwertes Leben. Es ist ein Satz, der zwischendurch fällt, und auf den viele Wörter, aber wenig Worte folgen, ein Satz, über den man nachdenken, den man aber auch überhören kann. Der Gefahr, ins Nostalgische abzuschweifen, schiebt man so einen Riegel vor. „It was good while it lasted” ist der eine Satz, der immer wieder fällt. Und ganz so mag es sich auch mit Bloody Nose, Empty Pockets verhalten. Und vielleicht sogar darüber hinaus.

Bloody Nose, Empty Pockets

Regisseure: Bill Ross IV und Turner Ross

Filmlänge: 98min

Produktionsland: USA

 

(Foto: © Department of Motion Pictures)