Mit Porträt einer jungen Frau in Flammen gelingt Céline Sciamma ein unwahrscheinlich anrührender wie intellektueller Film über die Liebe und die Kunst.

Als Céline Sciamma Anfang September 2019 für ein paar einleitende Worte die Bühne des Winter Garden Theatre beim Toronto International Film Festival betritt, hat sie ein Lächeln aufgelegt. Daraus spricht das Selbstbewusstsein einer kürzlich in Cannes prämierten Filmemacherin. In der französischen Hafenstadt nahm die Französin Monate zuvor den Preis für das beste Drehbuch entgegen; ebenso, quasi im Vorbeigehen, die Queer Palm.

Bei all dem „buzz”, der das Porträt einer jungen Frau in Flammen seit seiner Premiere in Cannes begleitet, wäre es nur verständlich, so Sciamma, wenn der Film sich hier nun als Enttäuschung herausstellte. Und doch entgeht niemandem im Saal die besondere Betonung, mit der sie das Wort „buzz” belegt, ein Summen irgendwo zwischen Verlegenheit und Stolz. Denn obgleich sie seit ihrem Spielfilmdebüt Naissance des Pieuvres („Water Lilies”) aus dem Jahr 2007 und mit den beiden Nachfolgern zunehmend die Kritik für sich einnehmen konnte, sich darüber hinaus als Drehbuchautorin für den oscarnominierten Animationsfilm Ma vie comme de courgette („Mein Leben als Zucchini”) verdiente und gemeinsam mit Großmeister André Téchiné am Drehbuch zu dessen Coming-of-Age-Drama Quand on a 17 ans („Mit 17”) schrieb, dürfte der Drehbuchpreis von Cannes einen ganz besonderen Platz in Sciammas Vitrine einnehmen.

Die junge Frau in Flammen

Ihr Sujet indes ist ein bekanntes. Wie in all ihren Filmen erzählt sie auch in Portrait einer jungen Frau in Flammen vom Heranwachsen gleichwohl sie ihre Geschichte ins 18. Jahrhundert versetzt. In der Eingangsszene lernen wir die Malerin Marianne (Noémie Merlant) kennen, die einer kleinen Gruppe junger Frauen die Malerei lehrt. Als sie im Atelier eines ihrer Bilder erblickt, das nicht für die Augen der Öffentlichkeit vorgesehen war, hält sie inne. Was hat es mit dieser geheimnisvollen Frau auf sich, die dort allein auf einem Feld steht, während sich goldrote Flammen ihre Beine hochranken. Als Marianne den Namen des Porträts ausspricht, verlassen wir die Rahmenhandlung und tauchen ein in ihre Vergangenheit.

Die junge Frau in Flammen, Héloïse (Adèle Haenel), wird von ihrer Mutter, einer Herzogin (Valeria Golino), aus dem Kloster nach Hause, auf eine unbenannte Insel geholt. Zuvor hatte sich Héloïses Schwester von einer Klippe gestürzt, nachdem sie durch die Mutter zwangsverheiratet werden sollte. Der Sprung in den Abgrund macht ihr Schicksal zu dem ihrer Schwester Héloïse. Und obgleich diese wütend über die Fremdbestimmung ist, einen angesehenen Italiener zu ehelichen und nach Mailand ziehen zu müssen, so hat sie nicht die gesamte Tragweite der arrangierten Ehe erkannt: Sie hat noch nicht geliebt.

Jenseits der Stille

Unterdessen begibt sich Marianne auf einem wackeligen Ruderboot zu eben jener Insel. Als das Boot ins Schlingern gerät und eine hölzerne Kiste ins Wasser fällt, zögert sie keinen Moment, dieser nachzuspringen. Darin befinden sich ihre Malutensilien. Gänzlich durchnässt gelangt sie an die Ufer der Bretagne (der das Sprichwort nachsagt, man könne dort alle vier Jahreszeiten innerhalb eines Tages erleben). Als sie das Schloss erreicht, haben sich die Hausherrin und ihre Tochter allerdings schon zu Bett begeben. Die Zofe Sophie (Luàna Bajrami) leistet Marianne bei Wein, Brot und Käse Gesellschaft, bevor sich Marianne samt Tabakpfeife ans Kaminfeuer setzt, sich und ihr Werkzeug zum Trocknen ausbreitet.

Als Marianne tags darauf die Herrin des Hauses kennen lernt, eröffnet ihr diese die Situation: Es soll ein Porträt ihrer Tochter als Geschenk für den zukünftigen Gemahl angefertigt werden. Da allerdings schon zuvor ein Maler an der Aufgabe verzweifelt sei, dürfe sich Marianne nicht als Malerin zu erkennen geben. Stattdessen solle sie vorgeben, sie sei für gemeinsame Spaziergänge eingestellt worden.

Es ist Regisseurin Sciamma hoch anzurechnen, dass die Herzogin nicht die grausame, verständnislose Mutter ist, die ihre Tochter für das Wohlergehen der Familie verkauft. Das Flackern schieren Glücks, das sich in den Augen der Mutter spiegelt, als sie mit Marianne Italienisch parliert, zeugt von vergangenen Träumen und mondänen Hoffnungen, die einst ebenso an familiären Zwängen und den steilen Klippen der entlegenen Insel zerschellt sein mögen. Die Melodie des Italienischen deutet an, dass es eine Welt jenseits dieser Insel geben könnte.

Sciammas bisher bester Film

Mariannes Auftrag ist simpel, und ist es doch nicht. Wie schon ihr Vater, der einst die Herzogin auf die Leinwand bannte, soll sie nun deren Tochter Héloïse zeichnen. Das Porträt ist indes mit einer besonderen Bedeutung aufgeladen. Seine Fertigstellung gleicht dem Moment, da Héloïse für ihre Abreise nach Milano bereit sein wird – bereit sein muss.

Héloïse durfte seit dem Suizid ihrer Schwester das Haus nicht mehr allein verlassen. So gehen die Frauen stets gemeinsam entlang der rauen Küste spazieren. Und während die beiden nun bei Tageslicht ihre Zeit zusammen verbringen, versucht Marianne in den Abendstunden ihre Eindrücke von Héloïse auf die Leinwand zu bringen.

Héloïse und Marianne: Selbst in einem Film der fast ohne Männer auskommt, bleiben sie ein Verhängnis. Foto: Alamodefilm
Héloïse und Marianne: Selbst in einem Film der fast ohne Männer auskommt, bleiben sie ein Verhängnis. Foto: Alamodefilm

Porträt einer jungen Frau in Flammen ist ein Film, der fast gänzlich ohne Männer auskommt. Und doch ist es unumgänglich, über deren Rolle zu sprechen. So schwebt Héloïses zukünftiger Ehemann, als gestalt- und namenloses Damoklesschwert über ihr. Doch auch Marianne, die als Malerin eigentlich einem Männerberuf nachgeht, steht permanent im Schatten ihres Vaters. Auch wenn sie als Malerin gewissermaßen außerhalb des bürgerlichen Lebens und seinen Konventionen lebt, findet sie sich dennoch in Situationen wieder, in denen sie sich den Konventionen beugen muss. Etwa wenn ihr die Aktmalerei von Männern untersagt ist. Dass sie es dann trotzdem, wie sie verrät, heimlich macht unterstreicht die unterschiedlichen Lebensentwürfe zwischen ihrer Existenz und der Héloïses.

It’s a Man’s world

Marianne hat eine Wahl. Zumindest, wenn sie sie bekommt. Den Auftrag der Herzogin erhält sie schließlich erst nachdem der erste Maler scheiterte Héloïses Gesicht auf die Leinwand zu bringen. Das dabei entstandene Gemälde mit seinen makellos wiedergegebenen Proportionen, den detaillierten Falten des smaragdgrünen Kleids, erweist sich als nichtig angesichts des Gesichts, das der Maler aus Frustration bis zur Unkenntlichkeit verwischte. Das Porträt ist nicht nur das Symbol bloßen Scheiterns, sondern nicht zu überkommener Impotenz.

Unterdessen bemüht sich Marianne Abend für Abend die Eindrücke des Tages in ihr Porträt zu bannen. Zwecklos. Als sich eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen entwickelt und sich Mariannes Tage auf der Insel bereits dem Ende neigen, gibt sie sich als Malerin zu erkennen. Weit mehr als über diesen Verrat bekümmert Héloïse allerdings das Porträt selbst. Als sie sich enttäuscht darüber zeigt, erwidert Marianne gereizt, es gäbe Regeln, Konventionen, Vorstellungen. Der Blick, den Héloïse ihr daraufhin entgegenwirft, brennt sich allerdings in Mariannes Kopf ein. Spürt sie eine ähnliche Impotenz, wie der geflohene Maler? Wie jenem ist es auch ihr nicht einmal gelungen, Héloïse zum Lächeln zu bringen.

 Die junge Frau steht in Flammen; doch ist es Héloïses gespenstischer Blick zurück der sich einbrennt. Foto: Alamodefilm
Die junge Frau steht in Flammen; doch ist es Héloïses gespenstischer Blick zurück der sich einbrennt. Foto: Alamodefilm

Sie radiert das Gesicht, welches niemals Héloïse wahres war, aus. Schuldbewusst präsentiert sie der Herzogin das lädierte Porträt und entzündet so eine irreversible Regung in Héloïse. Einem Impuls folgend, überredet sie ihre Mutter, Marianne nicht zu entlassen. Sie erklärt sich bereit in den kommenden Tagen für sie Model zu sitzen. Die Herzogin verlässt derweil aus geschäftlichen Gründen die Insel.

Sprachlose Spannung

Ohne die Hausherrin finden sich Héloïse, Marianne und die Zofe Sophie in einem traumähnlichen Zustand wieder, den man in seiner Jugend verspüren mochte, wenn die Eltern das Haus verließen. Sie changieren zwischen freudiger Aufregung und Nervosität. Doch während die Blicke zwischen Héloïse und Marianne zunehmen, sich eine sprachlose Spannung aufbaut, verliert die Regisseurin sich nicht in diesem Idyll.

Vielmehr erdet sie die Geschichte, indem sie uns zu Zeug*innen einer Abtreibung der Zofe macht. Und als Marianne Héloïse fragt, ob jene von ihr geträumt habe, verneint sie dies. Nein, nicht geträumt habe sie von ihr, gedacht habe sie an sie. So kommt es auch, dass der erste Kuss zwischen den beiden nicht von bloßer Leidenschaft überfrachtet wird. An den Füßen der Klippen pressen beide die Lippen so fest aufeinander, dass es die Erotik hinter sich lässt. Das Spüren der anderen speist sich nicht aus Leidenschaft, es ist eine Notwendigkeit. Es erinnert an jene Worte, die Marianne sagt, als sie Héloïse aus Vivaldis Vier Jahreszeiten vorspielt. Der Sommer sei nicht fröhlich, aber lebendig.

Die poetische Wahrheit

Es gibt viele Elemente in Porträt einer jungen Frau in Flammen, die den Film über die meisten anderen Genrevertreter erhebt. Selbst wenn man die schauspielerischen Leistungen außer Acht ließe, den malerischen Bildern nur wenig abgewinnen könne, ja selbst wenn man über die Poesie der Dialoge hinwegginge, so ließe sich immer noch herzhaft über die Themen diskutieren, die Céline Sciamma in ihrem bisher stärksten Film aufruft.

In einer Schlüsselszene des Films lesen Marianne, Héloïse und Sophie einander den Mythos um Orpheus und Eurydike vor. Eine der meistdiskutierten Fragen der Literaturgeschichte, warum sich Orpheus zu seiner Geliebten umdreht, bevor sie den Ausgang des Hades erreichen, führt zu heftigen Diskussionen. Dumm sei Orpheus, so Sophie, hätte er nur etwas gewartet, hätte er seine geliebte Eurydike wieder in den Armen halten können. Marianne hingegen ist sich sicher, dass Orpheus weder dumm, noch von seiner Liebe korrumpiert wurde; dass er sich bewusst gegen die physische Eurydike und für die Erinnerung an sie entschieden habe. Das sei die Entscheidung des Poeten.

Marianne weiß genau, wovon sie spricht. Sie fühlt den Tag herannahen, an dem der Signifikant das Signifikat ersetzt und Héloïse durch das eigens gemalte Portrait zur Erinnerung wird. Wir begleiten sie auf diesem Weg. Céline Sciammas Werk ist kein Film für Träumer, aber er überzeugt von der Wahrhaftigkeit des Moments, wenn die weibliche Solidarität einen bittersüßen Sieg davon trägt, der in der Kunst überdauert.

Porträt einer jungen Frau in Flammen
Regie: Céline Sciamma
Länge: 122 Min
Kinostart: 31.10.2019
Produktionsland: Frankreich

 

1 KOMMENTAR

  1. Sehr schöner Kommentar für einen sehr schönen Film! Habe ihn gestern Nacht in der arte!-Mediathek angesehen. Da mein Hörverstehen des Französischen nicht gefechtssicher ist, mit französischen Untertiteln.
    Auch mich hat bestimmte Musik schon in vergangene Liebe zurückversetzt, weswegen ich bei der Szene mit Heloise, die von Marianne in einem Vivaldi-Konzert im Opernhaus aus der Ferne entdeckt und betrachtet wird, auf den “erlösenden” Moment gewartet habe, bis sich endlich eine Träne aus dem Auge ihres bebenden Körpers löste…
    Künstlerische Freiheiten wie die Darstellung einer vollständig auf die Musik fokussierten Atmosphäre im Konzert (fanden nicht-szenische Aufführungen überhaupt im Opernhaus statt?), die der damaligen, aus heutiger Sicht geradezu banausenhaft-ignoranten Konzertetikette wohl nicht ganz entspricht, oder wie die doch nach Mailand verheiratete Heloise plötzlich und noch dazu ganz alleine in einem Opernhaus in Paris (?) auftaucht, tun dem in keinster Weise Abbruch; geben mir nur Anlass für ein wenig Besserwisserei…

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