Drei Heidelberger Studierende wollen per E-Petition das Verpackungsgesetz erweitern, um Plastikmüll zu verhindern

Leon Kuhn (Physik), Alexandra Rottenkolber (Physik und Geographie) und Thomas Gaskin (Physik und Mathematik) studieren zusammen in Heidelberg, wahrscheinlich fahren alle drei viel mit dem Fahrrad. Keine Überraschung, dass auch sie die Umwelt retten wollen. Bis zum 15. August muss ihre Petition 50.000 Unterstützer*innen gewinnen, damit sie im Bundestag diskutiert werden kann. Über 10.000 Leute haben bisher mitgezeichnet. Das Ziel: Das Verpackungsgesetz so zu verändern, dass Plastikmüll in Deutschland deutlich reduziert werden kann. Ob eine E-Petition der richtige Weg dafür ist, besprechen sie im Interview mit der UnAuf.

UnAuf: Kann ein Verpackungsgesetz die Umwelt retten?

Leon Kuhn: Nein, ein Verpackungsgesetz alleine kann die Umwelt nicht retten. Wenn es aber ein Umdenken erwirkt, kann es einen großen Beitrag leisten. Es kann verhindern, dass weiterhin tagtäglich Unmengen an unnützen und ungewollten Plastikverpackungen verbraucht werden. Viele Umweltprobleme lassen sich wahrscheinlich nur durch einen radikalen Verzicht auf Dinge lösen, auf die die meisten Menschen nur ungern verzichten möchten. Der Verzicht auf Plastikverpackungen wäre in vielen Fällen aber denkbar einfach, denn oft haben sie ja keinen wirklichen Nutzen. Wozu müssen wir Kartoffeln, Paprika oder Rhabarber einpacken? Die Verpackung erleichtert den Einkauf nicht, sie verbessert auch nicht die Qualität der Lebensmittel; sie sind nichts weiter als eine Angewohnheit, die vergleichsweise leicht zu überwinden wäre. Dass Verpackungen so günstig sind, hat auch eine große Palette an To-Go-Produkten entstehen lassen, wobei naturgemäß immer kleine Portionen in immer größeren Mengen Plastik verpackt werden. Wozu müssen wir vorgeschnittenes Obst oder einzelne Tomatenscheiben verkaufen? Ja, sie sind irgendwo bequem. Die enorme Umweltbelastung dieser Produkte sollte sie aber wirtschaftlich unrentabel machen. Und ein Verzicht stellt ja keine wirkliche Einschränkung dar. Dann kauft man eben zwei Äpfel und zwei Bananen und schneidet sie selbst! Ein Verpackungsgesetz kann also viel leisten, ohne unsere Lebensqualität bedeutend einzuschränken.

UnAuf: Ihr fordert, das Verpackungsgesetz um konkrete Maßnahmen zu erweitern – um was für Maßnahmen geht es euch dabei?

Leon Kuhn: Im Kern funktioniert das bereits bestehende Verpackungsgesetz folgendermaßen: Wer Plastikverpackung herstellt, zahlt eine Gebühr an die Entsorgungsfirmen, meist private Unternehmen, die die Verpackungen einsammeln und entsorgen. Die Höhe der Gebühr setzen diese sogenannten „Systemanbieter“ selbst fest. Nur sind diese Gebühren so niedrig, dass sie Bruchteile von Cent im Endverkaufspreis darstellen. Unsere erste Forderung lautet daher, die Gebühren, die die Hersteller zu verrichten haben, zu erhöhen. Die Gebühr sollte in unseren Augen so hoch sein, dass der Verkauf von sinnlos Verpacktem wirtschaftlich unrentabel wird – und unverpackten Lebensmitteln einen signifikanten Vorteil verschafft. Wenn etwas unverpackt hergestellt und transportiert werden kann, sollte es auch getan werden. Dass wir zunächst die Hersteller und nicht zum Beispiel die Supermärkte belasten, hat den einfachen Grund, dass die Lebensmittel ja nicht weiterhin eingepackt angeliefert und dann im Markt ausgepackt und verkauft werden sollen.

Thomas Gaskin: Was wir nicht wollen, ist, dass alles „mal wieder teurer wird“. Wir wollen, dass die Lebensmittel – wenn möglich – gar nicht erst verpackt werden! Oder, dass Alternativen benutzt werden! Und wir wollen, dass die Kunden sehen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Deswegen sollten die Läden und Supermärkte die Gebühr getrennt vom Preis des Produkts auflisten dürfen. Ein Verkaufsschild für ein Produkt dürfte demnach zum Beispiel einen Preis von „2.99€ + 0.20€ Verpackung“ zeigen, ähnlich wie beim Pfand. Auch möglich wäre, dass die Läden die Verpackungspreise am Ende der Quittung aufführen. Stell dir vor, du würdest deinen Wocheneinkauf tätigen, und am Ende zeigt dir der Beleg, dass du vier Euro nur für Verpackung ausgegeben hast! Würde dich das nicht zum Umdenken anregen?

Alexandra Rottenkolber: Außerdem wünschen wir uns die Errichtung eines Fonds, dessen Mittel in Projekte zur Säuberung der Gewässer und Meere von Plastik fließen. Außerdem sollte in Forschung zu erneuerbaren Alternativen investiert werden, sowie in Aufklärungs- und Bildungskampagnen. Der Fonds würde sich zum Teil aus den Einnahmen der Plastikgebühr finanzieren.

Leon Kuhn: Unsere letzte Forderung betrifft den Export von Abfällen. Wir fordern einen kompletten Exportstopp von Müll in Nicht-EU-Länder. Wenn wir Müll produzieren, sollten wir ihn auch hier vor der Nase haben, das ermutigt uns doch, unsere eigenen Plastikberge zu reduzieren. Außerdem hat der Export von Müll in Länder, die viel ineffizientere und technisch weniger ausgereifte Müllanlagen haben, enorme Konsequenzen für die Umwelt. Es ist kein Zufall, dass die Länder mit den höchsten Müllproduktionsraten gerade die Länder sind, die auch unsere Müllexporte entgegennehmen. Selbst der Export von Müll in EU-Länder sollte beschränkt werden. Müll sollte nur in solche Länder exportiert werden dürfen, die ein Deponieverbot implementiert haben. Die osteuropäischen Länder würden dadurch ausgeschlossen, Großbritannien aber auch.

UnAuf: Wäre es nicht effektiver, gleich beim Verbraucher anzusetzen – durch Bildungsmaßnahmen oder Demos?

Leon Kuhn: Selbstverständlich ist die Verantwortung des Verbrauchers maßgeblich. Aber so, wie Lebensmittel derzeit verkauft werden, hätte auch ein aufgeklärter, sich der Problematik bewusster Kunde kaum die Möglichkeit, einen Alltagseinkauf ohne Unmengen an ungewollten Plastikverpackungen zu verrichten. In den deutschen Supermärkten, in denen ein Großteil der Gesellschaft einkauft, ist es normal, dass auch Lebensmittel verpackt werden, die gar keine Verpackung benötigen. Für viele Produkte wird keine unverpackte Alternative angeboten, und das verpackte Produkt wird stets als das höherwertige präsentiert. Der Kunde kann nur das kaufen, was ihm auch angeboten wird – deshalb liegt ein großer Teil der Verantwortung bei den Supermärkten. Es scheint aber wenig Anreiz zu geben, auf die zusätzliche Verpackung zu verzichten. Diese Anreize wollen wir schaffen.

Alexandra Rottenkolber: Allerdings wäre es zu einfach, alles nur auf die Supermärkte zu schieben. Wir müssen uns auch als Verbraucher selbst an die Nase fassen: Bildungskampagnen gibt es ja bereits, und das seit Jahrzehnten. Der scheinbar größte Erfolg, den diese Kampagnen zu verzeichnen haben, ist die Abschaffung der Plastiktüte. Jetzt benutzt keiner mehr Plastiktüten, dafür gehen alle in der Mittagspause zur Rewe-Salatbar und kaufen sich eine große Plastikschüssel voll Salat. Leider sind, wie bei allen Umweltproblemen, die Nachteile des Plastikkonsums recht abstrakt und irgendwie weit weg, auch geographisch. Seien wir ehrlich: Kein Bild von verseuchten Karibikstränden oder chinesischen Plastikflüssen wird uns so sehr zum Umdenken bringen wie ein Zuschlag von 20 Cent für die Verpackung unserer Lieblings-To-Go-Salatbox! Die Plastiktüte ist doch das beste Beispiel: Sie musste etwas kosten, bevor die Menschen ihre eigenen Jutebeutel zum Supermarkt brachten.

UnAuf: Ihr wollt Anreize setzen, damit die Verbraucher von selbst auf übermäßige Plastikverpackungen verzichten. Warum fordert ihr nicht einfach ein Verbot nicht-abbaubarer Verpackungen?

„Wir sind vielleicht Umweltschützer, aber wir sind nicht vollkommen naiv!“

Alexandra Rottenkolber: Wir sind vielleicht Umweltschützer, aber wir sind nicht vollkommen naiv! (lacht) Man kann Umweltpolitik nur so weit betreiben, wie die Menschen bereit sind zu gehen. Ohne gesellschaftliche Bereitschaft lässt sich die sinnvollste, rationalste Methode nicht durchsetzen. Wir sehen es bereits bei dieser Petition: Wir erhalten viel Zuspruch, wir erhalten aber gelegentlich auch Kritik, weil man Angst hat vor Preiserhöhungen und Mehrkosten, oder weil man sich bevormundet fühlt. Ein vollständiges Verbot wäre nicht tragbar – und auch nicht umsetzbar, weil es (noch) einfach keine guten Alternativen gibt. Man kann viel Verpackung weglassen, und als Ersatz zum Teil Papier oder Glas verwenden. Aber vor „abbaubarem“ Plastik sei gewarnt: Viele dieser Plastiksorten zerfallen einfach nur in kleinere Plastikpartikel, die wir vielleicht nicht mehr sehen, aber nach wie vor vorhanden sind. Die Suche nach wirklich guten Alternativen muss also weitergehen.

UnAuf: Plastikmüll verschmutzt die Meere, das ist seit spätestens diesem Jahr Allgemeinwissen. Kommt aber nicht der meiste Müll, der im Meer landet, aus dem globalen Süden, konkret Ländern wie Indonesien oder den Philippinen?

Thomas Gaskin: Es stimmt: Indonesien und China sind die größten Produzenten von Plastikmüll. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln; man schätzt, dass jedes Jahr circa zehn Millionen Tonnen Plastik in unsere Ozeane fließen, von denen gut Zweidrittel aus China und Indonesien kommen, gefolgt von den Philippinen, Thailand, Malaysia, und Ägypten. Der Hauptgrund in all diesen Ländern ist eigentlich der gleiche: die schlechte Wasserqualität. Nehmen wir China als Beispiel: 80 Prozent des aus Bohrungen gewonnen Grundwassers ist nicht trinkbar, das Ministerium für Umweltschutz klassifiziert mehr als die Hälfte der chinesischen Wasservorkommen als zu kontaminiert für menschlichen Gebrauch, Flüsse sind verschmutzt, das Meerwasser vieler Orts extrem belastet. Also kaufen die Menschen Wasser in Plastikflaschen. Der entstehende Müll wird aber in vielen Gebieten nicht fachgerecht gesammelt und entsorgt, also landet er in den Flüssen, wodurch die Wasserqualität weiter sinkt – es ist ein Teufelskreis. Die Wasserqualität wirkt sich natürlich auch auf die Lebensmittelsicherheit aus. Laut einer Regierungsstudie von 2014 ist in China knapp ein Fünftel der Ackerfläche verseucht, das entspricht praktisch der gesamten Ackerfläche Mexikos. Die Verschmutzung der Böden führt zu Grundwasserverschmutzung und Lebensmittelvergiftung. Um diesen Bedrohungen zu umgehen, muss die Nahrung industriell vorverarbeitet und abgepackt werden – wodurch wieder mehr Müll entsteht. Der Plastikmüll in Südostasien hat aber noch eine weitere Ursache: Wir exportieren bis heute große Mengen unseres eigenen Mülls dorthin. Bis Januar 2018 wurden jährlich neun Millionen Tonnen Müll nach China geschifft – der größte Teil davon aus Japan, den USA, und der EU. Die Chinesen erhofften sich einen Auftrieb für ihre Recyclingindustrie, aufgrund von Missmanagement und mangelnder Technik landete viel Müll jedoch in der Natur. Die Chinesen haben nun erkannt, dass der kurzfristige Profit die langfristigen ökologischen Folgen nicht wettmacht, und haben ihren Markt geschlossen. Wir Europäer weichen nun auf Thailand und Vietnam aus – aber auch die werden auf lange Sicht dieses Spiel nicht mittreiben, Thailand erstickt zum Beispiel gerade in Elektromüll. So schließt sich der Kreis.

UnAuf: Oft hört man, Deutschland sei „Recyclingweltmeister“. Warum Abfall reduzieren, wenn wir ihn so vorbildlich wiederverwerten können?

Thomas Gaskin: Das ist leider so eine Sache, mit dem Recycling. Was man geläufig als „Recyclingquote“ im Kopf hat ist eigentlich die „Verwertungsquote“. Das ist die Quote an Müll, die tatsächlich erfasst, also zu Verwertungsanlangen gebracht wird. Dieser Anteil liegt bei gut 97 Prozent für praktisch alle Müllarten. Die Menge an Müll, die dort dann „stofflich“ verwertet, also tatsächlich wieder zu neuen Produkten gemacht wird, liegt für Verpackungsmüll bei nur knapp 70 Prozent, das sind Zahlen des Umweltbundesamts. Der Rest wird meist verbrannt oder exportiert. Die Verbrennung allein ist schon ein guter Grund, weniger Müll zu produzieren. Wir sind natürlich in der Hinsicht „Weltmeister“, dass unsere Systeme besonders effektiv sind und unsere Technik besonders effizient ist, das ist außer Frage. Aber selbst wenn wir 100 Prozent unseres Mülls recyclen würden, wäre die Umwelt damit nicht gerettet, denn aus einer weggeworfenen Salatverpackung entsteht ja keine neue, sondern es entsteht Kunststoff „minderer Qualität“, aus dem man dann zum Beispiel Abgrenzungspfosten für Baustellen herstellt. Die Salatverpackung muss schon jedes Mal neu hergestellt werden.

Frage: Wie bringt man eine Petition im Bundestag ein? Was muss man beachten? Was passiert, wenn ihr das Quorum – 50 000 Leute in vier Wochen – erreicht? Wie kommt die Petition dann ins Plenum?

Alexandra Rottenkolber: Jeder kann sein Anliegen beim Bundestag einreichen, indem er eine Petition startet. Es gibt eine förmliche Prüfung und eine inhaltliche. Die inhaltliche Prüfung entscheidet letztendlich, ob ein Vorschlag im Plenum beraten wird. Wenn eine Petition innerhalb von vier Wochen 50.000 Unterstützer gewinnen kann, hat sie das sogenannte Quorum erreicht. Auf der Website heißt es, dass der Petent dann die Chance hat, sein Anliegen mit den Abgeordneten in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zu diskutieren. Völlig unabhängig von der Anzahl an Unterstützern, heißt es dort auch, wird jede Petition parlamentarisch geprüft. Natürlich gibt es auch Einschränkungen. Eine Petition muss ein Anliegen vertreten, das von „allgemeinem Interesse“ ist.

Unter https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2018/_06/_16/Petition_80946.nc.html kann bis zum 15. August über die Petition diskutiert werden. Mitzeichnen kann jede*r, der oder die bereits über Account auf der E-Petitionsseite verfügt oder schnell einen erstellt. 

 

Foto: Privat

5 KOMMENTARE

  1. Uta Dietrich, ich möchte mich dieser Angelegenheit annehmen und stehe voll hinter dieser Forderung, Plastikmüll endlich zu reduzieren und nur dort zu verwenden, wo es keine Alternive gibt

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