DOVLATOV – Eiskalt zensiert

Dovlatov (Alexey German Jr., 2018) konkurriert im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Der Spielfilm zeichnet die Leidensgeschichte des russischen Schriftstellers Sergei Dovlatov (Milan Marić), dem es zeitlebens verwehrt blieb, in seinem Heimatland zu publizieren. Heute gehört er zu den in Russland am häufigsten gelesenen Schriftstellern. Ein Portrait der Intelligenzija in der bitterkalten Breschnew-Ära, das aktuelle Fragen aufwirft.

Leningrad, kurz vor dem Jahrestag der Revolution: Gezeigt wird ein Ausschnitt aus dem Leben Dovlatovs, eine Woche im November des Jahres 1971. Tag für Tag muss sich Dovlatov gegen die offiziellen Medien der Sowjetunion behaupten. Er schreibt für eine Betriebszeitung, dessen Chefredakteur ihm vorwirft, ein „dekadenter“ Schriftsteller zu sein, der „moralisch zügellose Figuren“ entwerfe. An einem Interview mit einem dichtenden Arbeiter scheitert er wieder und wieder – es sei nicht eindeutig genug. Stattdessen solle er „klar und positiv“ schreiben. Trotz mehrerer Versuche, seinen Artikel umzuschreiben, wird er seinen Witz und seine Ironie nicht los. Er kann nicht anders, als sich selbst treu zu bleiben.

Tagtäglich erfährt Dovlatov die Abgründe seiner Leidensgenossen, der intellektuellen und künstlerischen Avantgarde der Breschnew-Ära. Trinken, rauchen und streiten in literarischen Abendgesellschaften helfen ihnen gemeinsam über die Unmöglichkeit ihres Daseins als Künstler hinweg – zuletzt sei es nur wichtig, dass sie überhaupt existieren. Doch ist das KGB seinen Freunden Joseph Brodsky (Artur Beschastny) und David (Danila Kozlovsky) auf den Fersen. Dem einen wird mit dem Rausschmiss aus dem Land gedroht, der andere wird kurz nach der Verhaftung von einem Militärfahrzeug überfahren. Ein Kollege aus der Redaktion schneidet sich im Büro die Pulsadern auf und eine alte Freundin, die Schauspielerin ist, gibt sich regimetreu.

Die Leiden Dovlatovs werden im Grunde durch seine Familie, seine Mutter Nora, seine Ex-Frau Elena (Helena Sujecka), mit der er in der Scheidung steckt, und seine Tochter Katya (Eva Gerr), getragen. Sie verschaffen Dovlatov Liebe und Trost.

 

Lukasz Żals Kamera

Łukasz Żals Kamerafahrten sind ungewöhnlich. Im warmen Licht der Abendgesellschaften oder draußen im Schnee, Frost und Nebel wird manchmal beinahe an Dovlatov vorbeigefilmt. Die Kamera fängt den Schriftsteller in Gesprächen mit seinen Mitmenschen ein. Sie setzt ihn ins Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld. Einige Male ist er zwischen Menschenansammlungen nur am Rande zu sehen oder gar unscharf hinter einem sich unterhaltenden Paar. Hier wird aus einem Autorenportrait ein Gesellschaftsportrait. Aus der leichten Froschperspektive geht die Bewunderung für die Größen der russischen Intelligenzija hervor.

 

Ein Spielfilm mit Aktualitätsbezug

Doch handelt es sich hier tatsächlich nur um ein Portrait eines Autors und einer Gesellschaft vergangener Zeiten? Es kann nicht vermieden werden, zu fragen, wie die Situation im heutigen Russland aussieht. Regisseur Alexey German Jr. gibt hierauf in der Berlinale-Pressekonferenz eine relativierende Antwort: Russland sei nicht mehr die Sowjetunion und der Spielfilm Dovlatov habe keine Zensur erfahren. Es sei unzulässig Talente und Schicksale zu zerstören und einen Künstler keinen Künstler sein zu lassen. Seine Aussage gibt Anstoß, sich mit der Frage zu beschäftigen: Wo fängt Zensur überhaupt an? Ist der Zustand, Künstler Künstler sein zu lassen, in Russland und auch anderswo bereits erreicht?

 

Dovlatov wird im Rahmen der Berlinale ein letztes Mal am Sonntag, den 25.02. im Friedrichstadtpalast gezeigt.

 

 

Autorin: Giada Armante

 

Foto: Wikimedia Commons, Jessica Weiller; Lizenz: CC0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bear_unsplash.jpg#/media/File:Bear_unsplash.jpg

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