In nur einem Jahr hat Roland Hummel der Uni das Thema “freie Software” schmackhaft gemacht und dabei gezeigt, wie erfolgreicher Aktivismus im 21. Jahrhundert aussieht

Roland Hummel ist ein Ein-Mann-Marsch durch die Institutionen. In nur einem Jahr hat er die Universität hinter einem Anliegen versammelt, für das es dort vorher kaum ein Bewusstsein gegeben hat. Dabei schreckt Hummels Initiative “gnuHU-linux” eigentlich schon durch den sperrigen Namen ab. Trotzdem hat sich mittlerweile eine überwältigende Mehrheit der HU-Fachschaften sowie das StuPa mit Hummels Kernforderung solidarisiert: Studierende sollen in Zukunft an den öffentlichen Computerarbeitsplätzen unter “freier Software” arbeiten können.

Um die Tragweite dieser Forderung zu erklären, holt Hummel weit aus. Dabei führt er durch die widersprüchliche Architektur unserer digitalen Demokratie und zeichnet ein Eckpunktepapier für Wandel in einer neoliberalen Gesellschaft. Zwei Grundregeln: Keine unnötigen Fronten aufbauen und Konformitätsdruck standhalten. Dabei fügt sich ein Bild des Theologiestudenten Hummel zusammen, das dem Ideal des Revolutionärs so nahe kommt, wie es in einer saturierten Gesellschaft wie der Deutschlands gerade noch möglich ist. Geprägt durch die DDR, technikaffin, systemkritisch, kooperativ, belesen, engagiert. So sieht Aktivismus im 21. Jahrhundert aus.

Um den Gegensatz zwischen freien und unfreien Systemen zu erklären, hat Hummel stets mehrere Beispiele zur Hand. Das griffigste geht so: Wir alle nutzen E-Mail, ein besonders freies Kommunikationssystem. Weil E-Mail freiheitlich organisiert ist, kann jede*r mit jeder beliebigen Mailadresse allen Adressinhaber*innen Mails schreiben und im Detail nachvollziehen, wie dieser Prozess funktioniert. Zum Vergleich: WhatsApp ist ein Beispiel für ein unfreies System. WhatsApp-User können Nachrichten nur innerhalb des vom Anbieter kontrollierten Netzwerks verschicken, keine Veränderungen an der App vornehmen (etwa, was die Verschlüsselung angeht) und nicht nachvollziehen, wie der Nachrichtenversand funktioniert. Würde E-Mail genauso funktionieren, könnten Gmail-Kundinnen nur Gmail-Kunden schreiben und GMX-User ausschließlich die GMX-App verwenden. Klar wird: Systeme sind nur dann frei, wenn die zugrundeliegende Software frei ist, also der Quellcode für alle lesbar ist, zur Verbreitung bereitsteht und umgeschrieben werden kann. Nach diesen Prinzipien funktioniert freie Software wie Firefox, LibreOffice oder die Lernplattform Moodle.

Die Quellcodes unfreier oder proprietärer Software von Anbietern wie Facebook, Microsoft oder Apple dagegen, von denen die digitale Infrastruktur vieler Ländern abhängig ist, werden als Unternehmensgeheimnisse mit Argusaugen bewacht. Ihre Verbreitung unterliegt strengsten Auflagen, Einsicht durch mündige Nutzer*innen ist nicht vorgesehen. Hummel und anderen Stimmen aus Aktivist*innenkreisen zufolge seien diese Einschränkungen nicht mit unserer Demokratie vereinbar. Gerade zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Universitäten sollten deshalb auf freie Systeme setzen.

“Der reale Raum wird durch unsere Gesetze geregelt. Und auch, wenn den im Zweifel nur Juristen ordentlich auslegen können, liegt uns doch viel daran, dass die jeder von uns einsehen kann. Das können wir bei Software in den meisten Fällen nicht”, so Hummel. Darum geht es der Bewegung für freie Software in der Hauptsache:  Die Maßstäbe, die wir an unsere normale Demokratie anlegen, auch an die demokratischen Strukturen im digitalen Raum anzusetzen. Folgt man Hummels Argumentation, stellt die exklusive Verfügbarkeit unfreier Software wie Windows an öffentlichen Bildungsinstituten einen nur schwer zu ertragenden Widerspruch zu deren partizipativen Anspruch dar. Weder Administrator*innen noch die Studierenden können, solange es keine Alternativen zu unfreien Systemen gibt, Gebrauch von ihrem Recht auf Mitbestimmung und Informationsfreiheit machen. Hummels Initiative gnuHU-linux setzt genau hier an. Die Bewegung für freie Software hat damit die HU erreicht.

Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit zieht sich als roter Faden durch Hummels politische Biografie. Sein Werdegang zum Politaktivisten begann 2013, dem Jahr, in dem Edward Snowden die Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste einem breiteren Publikum gegenüber bekannt gemacht hatte. Im selben Jahr, im Sommersemester, stand “Kirchengeschichte 5” auf Hummels Lehrplan, Kirche in der DDR, “Gesellschaftsformen, die wir meinen, überwunden zu haben”, solche Dinge. Hummel, selbst noch in der DDR aufgewachsen, stellte zunehmend die eigene Sozialisierung auf den Prüfstand. “Ich bin da nicht mit der Grundhaltung reingegangen, dass die DDR etwas grundlegendes Schlechtes war, aber diese Haltung ist dann zunehmend kritischer geworden.” Im Fokus seines Denkens standen jetzt Menschen, vor allem die Christ*innen in der DDR, die ihr Leben im Widerspruch zur herrschenden Ideologie gestalten mussten.

 Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist ein roter Faden in Hummels Biografie

Nach Snowdens Enthüllungen wurden diese Überlegungen für Hummel tagesaktuell. “Jetzt krachte da dieser Snowden rein und hat uns im Grunde nachgewiesen, dass das, was Mielke mit der Stasi gemacht hat, verglichen mit dem, was die westliche Wertegemeinschaft gemacht hat, ein Kindergarten war”, sagt er. Die Achtung der Freiheitsrechte als Kriterium der Abgrenzung zwischen “Schurkenstaaten” und westlicher Gesellschaft sei durch die Enthüllungen lächerlich gemacht worden. Es ist diese kognitive Dissonanz zwischen Freiheitsanspruch und Überwachung, der Widerspruch zwischen der Forderung nach Teilhabe und der Unfreiheit unserer digitalen Infrastruktur, die Hummel in den darauffolgenden Jahren antreibt.

Aus der Theorie machte Hummel dann kurzerhand Praxis, nahm sich einige Wochen studienfrei, vertiefte sich in Snowdens Enthüllungen, stieg aus den sozialen Plattformen aus. “Dabei habe ich gemerkt, welchen Konformitätsdruck der digitale Raum schon jetzt auf uns ausübt”, sagt Hummel. Ab Anfang 2014 floss Hummels Energie dann in das Projekt “Jahr 1 nach Snowden”, das er gemeinsam mit seinem damaligen Mitbewohner Amon Kaufmann, damals Physik-Student an der HU, gestartet hatte. Im Fokus der in diesem Rahmen organisierten Workshops und Vorträge stand die Frage, was Überwachung in einer westlichen Wertegemeinschaft aus philosophischer, technischer und gesellschaftspolitischer Perspektive bedeutet. Der Andrang sprengte regelmäßig die Kapazitäten der PC-Pools. Im Anschluss entstand ein Sammelband samt Ideenkatalog, der seit 2015 im vierten Stock des Grimm-Zentrums einsehbar ist.

“Ich dachte: Wenn ich irgendetwas sichtbar machen will von der ganzen Debatte, dann muss das was sein, womit die Studenten auch täglich arbeiten, und das sind die Computer hier. Deswegen die Forderung nach freien Betriebssystemen als standardisierter Wahlalternative auf den öffentlichen Rechnern”, sagt Hummel. Die Idee für die Initiative gnuHU-linux war geboren. Alle Studierenden sollten die Möglichkeit bekommen, statt unfreier Arbeitsumgebungen auch freie Umgebungen, konkret GNU/Linux, nutzen zu können. 2016 fiel ein erstes Vorfühlen beim Computer- und Medienservice der HU (CMS) zunächst positiv aus.

Auf Nachfrage erklärt Lutz Stange, Leiter der Abteilung Hard- und Softwareservice im CMS, dass heute dort, wo es sich anbiete, die Entscheidung natürlich auf freie Software beziehungsweise Open-Source-Systeme falle. Das CMS selbst hat den Studierenden in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe freier Alternativen zur Verfügung gestellt, darunter die Doodle-Alternative Dudle und ein eigener Messenger-Dienst für alle HU-Angehörigen (siehe Infokasten S. 12). Manche Fachbereiche, etwa die VWL, setzen bereits auf Linux, andere wollen schnellstmöglich auf freie Software umstellen. Das und Gespräche mit Informatiker*innen an der HU zeigt: In den eingeweihten Kreisen hat längst ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Viele, die sich mit Informationstechnik auskennen, sind den unfreien Systemen von Microsoft oder Apple gegenüber eher skeptisch eingestellt, da dort Gestaltungsmöglichkeiten fehlen.

Der Grundstein für eine Software-Revolution ist gelegt

Trotzdem gab das CMS Hummel auch zu verstehen, dass ohne eine Bedarfsanmeldung von der Studierendenschaft ein so breit angelegtes Projekt wie gnuHU-linux nicht zu machen sei. Freie Software auf allen Rechnern, diese Forderung müsste schon von der gesamten Studierendenschaft getragen werden. “Auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass freiheitliche Grundwerte von einem Bedarf abhängig sind , fragte ich mich dann: Wie schafft man das?”, so Hummel. Und wieder schritt er zur Praxis.

“Zuerst habe ich dann gnUNI-linux geschaffen, eine ideelle Vorlage dafür, was ich an der HU machen wollte. Es ist ein Ideen-Template, wie man an öffentlichen Bildungseinrichtungen freie Software etabliert. gnuHU-linux ist dann als erste konkrete Umsetzung davon abgeleitet”, sagt Hummel. gnUNI-linux kann man als Anleitung für Basisdemokratie an der Uni beschreiben, mit dem Ziel, dort freie Betriebssysteme als Standard-Alternative zu unfreien Systemen zu verankern. Die detaillierte Anleitungen, Grafiken und Vorlagen stehen unter hu.berlin/gnUNI-linux allen Interessierten zu freien Verfügung.

Mit diesem  Aktivismus-Einmaleins in der Hinterhand wandte Hummel sich dann Anfang 2017 wieder der HU zu. “Zunächst habe ich überlegt: Naja, was haben wir denn für demokratische Strukturen hier? Fachschaften! Das sind die kleinsten, die wir haben. Dann habe ich über Wochen und Monate diese Fachschaften angeschrieben, und es war wirklich schwer.”

Ein schlappes Jahr verausgabender Überzeugungsarbeit nicht nur in Fachschaften, sondern auch vor dem StuPa und anderen Gremien hat Hummel die Bedarfsanmeldung schließlich gekostet. “Anfangs haben nicht alle den Text der Solidarisierungserklärung gleich durchdringen können. Es musste ganz viel Bildungsarbeit geleistet werden”, sagt Hummel. “Wäre ich nicht lokal in die Fachschaften gegangen, hätte ich nicht die mittlerweile 30 Solidarisierungen bekommen”, meint er.

Mit den Solidaritätserklärungen für gnuHU-linux im Gepäck sprach Hummel dann Mitte Mai  2018 erneut beim CMS vor, wo die Voraussetzung erster Umsetzungsbedingungen für gnuHU-linux besprochen wurden. Auch aus dem Umfeld der HU-Präsidentin kamen einige Wochen später positive Signale, wo vorher noch von Bedarfsmangel die Rede war. Inzwischen hat man Hummel an Peter Frensch verwiesen, den Vizepräsidenten für Forschung an der HU. Für einen Einzelkämpfer ist Roland Hummel ganz schön weit gekommen. Der Grundstein für eine umfassende Software-Revolution an der HU scheint gelegt zu sein. Kann er etwas mit diesem Begriff anfangen: Revolutionär?

Statt von “Revolution” spricht Hummel lieber mit einem Bachmann-Gedicht von der “Tapferkeit vor dem Freund”. “Die Formulierung bringt uns genau in die Kämpfe, die wir in einer neoliberalen Gesellschaft zu führen haben”, so Hummel. “Meinen Kommilitonen und meinem Professor, die ja nicht meine Feinde sind: Denen muss ich als Freund begegnen und sagen, dass sie etwas nicht genügend demokratisch reflektieren, wenn sie oft unbewusst zur Verbreitung proprietärer Strukturen beitragen. Wir sind alle Opfer einer ‘Get-them-while-they-are-young’-Taktik von Software-Monopolisten, die nicht aus Großherzigkeit ihre Produkte für fünf Euro am Campus verkaufen. Das kann jede*r an sich selbst nachvollziehen. Aber um an den unbequemen Spruch im Hauptgebäude zu erinnern, genügt es nicht, die digitale Welt nur zu verstehen, man muss dann auch anfangen, sie zu verändern.”

 

 

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