-Eine Filmrezension-
Ob sie keinen Thymian von einem Zitronenthymian unterscheiden könnten, fragt René Redzepi. Er steht locker vor ihnen, schreit jetzt aber fast. Seine Souchefs schauen bedröppelt zu Boden. Redzepi redet sich in Rage: „Schmeckt ihr da Zitrone?“ Die beiden probieren, einer beginnt einen Satz, stottert aber nur unverständliches Zeug und schluckt ihn dann doch mit dem Rest-Thymian runter. Nein, keine Zitrone, Chef. Redzepi hat Recht. Es war der falsche Thymian, natürlich. Redzepi weiß das längst und beendet den Disput so diplomatisch er nur kann: „Fuck off!“
Das macht nichts, schließlich gilt Redzepi als die coolste Socke unter den Sterneköchen und wer die vielen Szenen sieht, in denen er mit seinen Mitarbeitern Salat putzt und sich dabei smart lächelnd die langen Haare aus der Stirn pustet, wie er sich nach getaner Arbeit mit sommerlicher Bomberjacke und schicken weißen Sneakers lässig auf sein Fahrrad schwingt, der glaubt das auch.
Wir erfahren, dass der in ärmlichen Verhältnissen in Mazedonien auf einem Bauernhof aufgewachsene Koch in Dänemark ein Restaurant übernommen hat. Sein Vater, ein Bauer und seine Mutter, eine Mitarbeiterin in einer Kantine, honorieren das, können dem Essen mit dem vielen Schnickschnack allerdings nur wenig abgewinnen. Redzepi arbeitet trotzdem hart, er hat seinen eigenen Laden, jetzt braucht er nur noch ein Konzept.
Er fährt nach Grönland, bestaunt die Polarlichter und wird prompt erleuchtet. Die Lösung ist: Saisonalität! Er erfindet das Konzept von „Zeit und Ort“, entwickelt ein Verständnis für die Jahreszeiten, nimmt nur, was die nordische Natur ihm gibt, sie diktiert ihm geradezu die Karte. Seeigel aus den Gewässern Norwegens, fermentierte Stachelbeeren, Moos, aus Birken gezapftes Wasser. Außerdem sieht er alles nicht mehr ganz so streng, schließlich muss er ja irgendwie kochen. Na gut, Olivenöl aus Italien ist erlaubt. Siehe da, es funktioniert.
Das war kein Glück. Wer Sätze sagt wie: „Die Zutaten sind unsere Buchstaben, das Gericht ist unser Gedicht“, der hat kein Glück, der ist ein Genie. Das mussten dann auch die großen Köche aus Frankreich anerkennen, die vorher noch die Nase gerümpft haben. Das Noma wurde ein Nobelrestaurant und Kopenhagen, auf der kulinarischen Weltkarte lange Zeit gar nicht vertreten, wurde plötzlich das Mekka für Foodies aus aller Welt. Redzepi hat geschafft, was keiner für möglich hielt, er gab dem Norden eine kulinarische Identität. Das Noma wurde das beste Restaurant der Welt und auf einmal feierten alle nur noch ihn.
Dechamps hat Redzepi während der drei Jahre begleitet, in denen sich all das abspielt. Von der dritten Auszeichnung zum besten Restaurant der Welt im Jahr 2012 über einen Rückschlag 2013, bis zu dem Punkt, an dem sich Redzepi 2014 zurück an die Weltspitze kocht. Die Dokumentation stellt uns Spitzenköche und gleichsam bärtige Pilzsammler, Förster in Flanellhemden und Fischer vor, die Redzepi dabei halfen.
Alles läuft also ganz grandios im Noma, bis plötzlich einige Gäste krank werden. Diagnose: Norovirus. Der Rückschlag. Ein Drama. Die Presse, die Konkurrenz, die gesamte Haute Cuisine, die Redzepi sowieso nie mochte, sie alle schmeißen sich wie Aasgeier (Redzepi nennt sie „Arschlöcher“) auf das Noma. Auf ihn. Wie konnte das passieren? Waren es die verdammten Muscheln?
Redzepi bleibt cool und spielt derweil eine Runde Squash. Ohne Gegner. Er hämmert den Ball einfach gegen die Wand, so wütend ist er. Ein Neuanfang muss her. Obwohl der Laden so erfolgreich ist? Gerade deshalb. „Erfolg limitiert“, sagt Redzepi. Er krempelt alles um, reißt die Küche ein und baut eine neue. Er macht das so selbstverständlich, wie andere den Geschirrspüler ausräumen.
Das Bild, das Redezpi von sich selbst zeichnet ist nicht das eines kulinarischen Revolutionärs und Haute-Cuisine-Anarchisten („Ich scheiß auf Silberbesteck“), sondern leider das, eines modernen und dennoch rücksichtslosen Sternekochs. „NOMA“ ist nicht deshalb enttäuschend, weil wir kaum etwas über das Restaurant erfahren, sondern weil René Redzepi augenscheinlich doch nicht die coolste Socke unter den Sterneköchen ist.
NOMA – Ein Blick hinter die Kulissen des besten Restaurants der Welt. Regie: Pierre Duchamps. Mit: René Redzepi, Hanne Redzepi, Ali Rami Redzepi, dem Team des Noma.
Kinostart 9. Februar
Fotos:
© Peter Brinch
© Pierre Deschamps