Ein Abseits im Fußball ist durch streng geregelte Formen zu ermitteln. Was genau das analoge Abseits der Philosophie ist, soll mir mal einer erklären. Ein Plädoyer für den Pop in der Philosophie.

Ich finde mich im Abseits wieder. Im Abseits der Philosophie. Gern würde ich wieder aufs Spielfeld stürmen. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass ich im Abseits gelandet bin?

Alles begann, als ich mich mit dem Thema, über das ich meine Bachelorarbeit schreiben wollte, auf die Suche nach einem Betreuer an der Universität begab. Die Professorin meiner Wahl antwortete mir, dass sie diese Arbeit leider nicht betreuen könne. Sie sei in den zu behandelnden Texten nicht kompetent genug. Der zweite Professor bedankte sich für das originelle Exposé, bedauerte aber meine Arbeit wegen des Fehlens der genuin philosophischen Fragestellung nicht betreuen zu können. Ich verschaffte mir direkten Kontakt. Persönlichkeit zeigen. Macht man doch heute so. Ich meldete mich für die Sprechstunde eines Professors an. Er ließ sich meine Überschrift vorlesen:
„Was machen diese Nachtlebenleute eigentlich, wenn sie da jedes Wochenende irgendwo zum Feiern gehen?“ (Rainald Goetz in „Rave“) – Eine Auseinandersetzung mit den Themen Rausch und Exzess als grenzüberschreitendes Moment unter Berücksichtigung von Foucaults „Vorrede zur Überschreitung“.

Er lehnte sich zurück und sagte: „Sie wissen aber schon, dass das nicht mein Fachgebiet ist?“ Nachdem er trotz dieser Aussage mein Exposé überflogen hatte, legte er es mit der Vorderseite auf den Tisch. Ich starrte die leere Rückseite an und er offenbarte: „Ich verstehe keinen einzigen Satz.“ Danach verwickelte er mich in ein philosophisches Kreuzverhör: Ich sage Selbst, er sagt, das gibt es nicht. Ich sage Foucault, er sagt, der interessiert mich erst mal nicht. Ich sage Grenze, er will davon nichts hören. „Sehen Sie, wir können uns noch nicht einmal darüber unterhalten,“ beendet er das Gespräch. Mein Thema sei: abseitig. Niemand am Institut würde dies bewerten können. Und: Bei ihm als Betreuer würde ich ins offene Messer laufen. Um seinen Argumenten Ausdruck zu verleihen, verwies er auf einen, im europäischen Vergleich, wirklich guten Platz des Instituts in einem aktuellen Hochschulranking. Des Weiteren fragte er mich, was ich für Noten geschrieben hätte. Bereitwillig nuschelte ich „Irgendetwas zwischen 1 und 2.“ Meine letzte Frage an ihn, ob ich mir ein anderes Thema aussuchen sollte, welches sich der philosophischen Ausrichtung des Instituts anpasst, beantwortete er mit nein. Er sei in erster Linie dafür da, Themen gemeinsam mit Studierenden zu finden.

Ich habe Philosophie studiert und dabei gelernt, dass philosophisches Denken auch immer kritisches Denken ist. Ich habe gelernt, dass jede philosophische Hausarbeit, eine eigenständige philosophische Arbeit ist. Was sind also abseitige Themen der Philosophie? Themen, die transdisziplinär sind? Welche, die Probleme des Außen in das Innere der Philosophie befördern? Eine Freundin meinte zu mir: „Nicht Foucault ist das Problem, sondern der Exzess.“ Ein weiteres Problem ist aber auch struktureller Natur. Wie viel Eigenständigkeit passt in die kleinste Nische eines Wissenschaftsbetriebs?

„Das Verschwinden der Andersheit bedeutet, dass wir in einer Zeit leben, die arm an Negativität ist“, sagt Byung Chul-Han, Professor der Philosophie.
Und das Betonen der Abseitigkeit als etwas nicht Hinreichendes, ist der schleimige Auswurf dieser Zeit, sage ich, Studentin der Philosophie.

Meine kleine Odyssee zeigt mir, wodurch sich Philosophie für mich ausmacht: Ich erkenne ein Problem vor das die Welt mich stellt und beziehe dazu Position(en), beziehe es auf mich. Die Frage nach der Überschreitung von Grenzen im Zustand des Rauschs, wird zur Frage nach der Grenze zwischen Philosophie und Abseitigkeit. Findet philosophisches Denken wirklich in fehlenden Methoden seine Grenze?
Ich bin davon überzeugt, dass die Bezeichnung dieses Themas als abseitig einen Defekt im philosophischen universitären Kontext aufzeigt.

Der Philosophie im universitären Kontext fehlt es an Pop. Popliteratur zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Alltag mit einbezieht. Was ich mit Pop in der Philosophie meine ist viel weniger ein Aufbegehren, sondern ein zu Nutze machen der Philosophie in den Bereichen, in denen sich Leben von wissenschaftlicher Erkenntnis, Alltag von Existenzfragen und Psychologie von Philosophie nicht mehr voneinander trennen lassen. Das Handwerk der Philosophie ist Weltbetrachtung. Und die Welt hört nicht da auf, wonach sich Lehrstühle in der Philosophie kategorisch unterscheiden lassen. Die Welt der Pop-Philosophie ist nicht abseitig, sondern einseitig im positiven Sinne: Sie ist ein Teil Welt, in der Philosophie die klassischen Fragen zu stellen bereit ist. Die Philosophie sollte kein Theater sein, das immer gleiches Kulturgut immer gleichen, alternden Zuschauern schmackhaft präsentiert. Und sie sollte keine Scheinprobleme zu echten philosophischen Problemen machen. Nicht alles ist Philosophie. Nicht jeder ist Philosoph. Aber ich plädiere für den Pop in der Philosophie. Neues Spiel, eröffnet!

3 KOMMENTARE

  1. Danke für den Einblick in den Philosophiebetrieb aus Sicht einer Studierenden in Berlin. Ich wäre für mehr Exzess und mehr Politik und mehr Byung Chul-Han in den Instituten.

  2. Interessant, denn genau darum geht es mir. Um die Abwanderung. Ich wär halt für mehr Integration im Sinne von Anerkennung der “Abseitigkeit”! Schließlich fand ich einen Professor, bei dem ich jetzt eine andere Arbeit schreibe, der aber auch die Foucault-Arbeit angenommen hätte. Das gibt mir den nötigen Schwung, nicht an Abwanderung zu denken.

  3. Ich denke, dass das, was du Pop-Philosophie nennst, mit den meisten philosophischen Instituten hierzulande schlichtweg inkompatibel ist, da sich in den vergangenen Jahrzehnten die anglo-sächsische analytische Tradition durchgesetzt hat. Pop-Philosoph*innen, wenn man so will, sind meist in benachbarte Fachgebiete abgewandert, hier in Berlin z.B. in die Kultur- und Medienwissenschaft. Dort gibt es sogar eine Philosophin, die sich genau mit den von dir genannten Themen Exzess, Grenze, Überschreitung, etc. befasst hat.

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