Unweit vom Bahnhof Zoo – bekanntermaßen nicht die schönste Seite Berlins – befinden sich auch einige der saubersten Ecken der Stadt. In den Laborräumen der Technischen Universität Berlin (TU) sitzt ein bunt zusammengewürfeltes Team aus jungen Studenten und arbeitet emsig mit einem Bakterium, dass schon so manchen Mediziner zu einem Nobelpreis verholfen hat: Escherichia coli, ein Darmbakterium, vielleicht das bekannteste seiner Art. E. coli wächst sehr schnell und ist deswegen in der experimentellen Forschung beliebt.
Masterstudent Johann Bauerfeind leitet das Team, er wirft seinen Blick auf gestapelte Petrischalen. Er weiß, wann hier zu viel und wann zu wenig mit seinen bakteriellen Schützlingen passiert ist. Und er weiß auch, was hätte passieren müssen, wenn überhaupt nichts passiert ist: „Bakterien sind eben Lebewesen – und viel komplexer, als viele sie sich vorstellen. Oftmals gibt es Probleme mit den einfachsten Grundlagen. Bakterien sind eben keine Maschinen.“
[imageframe lightbox=“yes“ style=“none“ bordercolor=““ bordersize=“0px“ stylecolor=““ align=“none“ animation_type=“0″ animation_direction=“down“ animation_speed=“0.1″]
Aber genau das ist es, was das junge Forscherteam im Rahmen des iGEM-Wettbewerbes interessiert. iGEM steht für „International Genetically Engineered Machines“, jedes Jahr wetteifern hier studentische Teams auf der ganzen Welt und bauen so genannte „Biobricks“ . Biobricks sind standardisierte Einheiten von DNA-Sequenzen, sie funktionieren quasi wie ein Lego-Baukasten für Genforscher.
Auch das erfolgreiche Projekt der Berliner wird es als Biobrick zum Erwerb für andere Nachwuchsforscher geben, die damit wiederum experimentieren. Johann Bauerfeind und seine Mitstreiter wollen ihre E. colis fernsteuern, oder besser: fernsteuerbar machen. Dazu verändern sie die genetische Struktur des nur wenige Mikrometer großen Bakteriums und bringen es dazu, selbstständig kleine Magneten zu bilden. Schlussendlich wird E. coli dann wie von selbst magnetisch – und damit von außen steuerbar.
Was man dann mit dem magnetischen Bakterien machen kann, ist vielseitig, aber natürlich haben die Jungforscher auch das im Blick, was die „Großen“ wollen: Ferngesteuerte Partikel könnten gezielt an die Orte gelenkt werden, an denen sie gebraucht werden. Das könnte beispielsweise hilfreich sein, um die Nebenwirkungen von Chemotherapien, die viel gesundes Gewebe beschädigen, auszuschalten.
[imageframe lightbox=“no“ style=“none“ bordercolor=““ bordersize=“0px“ stylecolor=““ align=“none“ animation_type=“0″ animation_direction=“down“ animation_speed=“0.1″]
Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr für iGEM. Der Wettbewerb wird zehn Jahre alt. Zum diesem Anlass wurden nicht nur die paar besten Einsendungen zum Finale nach Boston geladen, sondern gleich alle. 2004 waren es noch fünf kleine Teams, in diesem Spätherbst kamen 2.500 junge Forscher von 245 Universitäten aus der ganzen Welt. Johann und das Team von iGEM-Berlin haben hier die Chance bekommen, ihr Projekt einer Jury aus hochkarätigen Wissenschaftlern vorzustellen. Herausgekommen ist eine Goldmedaille. Diese zeichnet nicht nur die kluge Idee an sich aus, sondern auch die Arbeit an „Policy & Practice“, also der Anwendbarkeit und Öffentlichkeitsarbeit. Gerade bei der Öffentlichkeitsarbeit sind es nicht nur Biologen gewesen, die bei iGEM-Berlin mitgewirkt haben. Ganz im Sinne der Interdisziplinarität hat sich das Team auch mit Künstlern und Designern getroffen und an der Präsentation gearbeitet.
Das Projekt ist thematisch brandaktuell. Die derzeitige genetische Forschung versucht, die Vorgänge von natürlichen magnetischen Bakterien zu studieren und auf andere zu übertragen. Viel zu anspruchsvoll für die Jungforscher, deswegen der vermeintliche Umweg über E. coli.
Aber auch die Methode liegt im Trend. Während Johann durch die Laborräume läuft, fällt ein bestimmter Satz besonders häufig: „Das kann man eigentlich auch alles selber bauen.“ Er zeigt auf eine Box, in der eine gleichmäßige Luftströmung erzeugt wird, um die Proben darin vor Kontamination durch den Experimentator zu schützen. „Bio-Hacking“ heißt die Disziplin, in der vor allem junge Forscher an biologischen Experimenten in Do-it-yourself-Manier arbeiten. Unerschwingliche Technik steht nach ihrer Auffassung der Freiheit der Forschung nur im Weg. Was man nicht hat, wird selbst gebastelt. Bio-Hacking ist demokratisierte Bildung, es ist Open-Source für die Biologie und es ist – typisch Berlin – irgendwie auch ein bisschen Punk.
Die Grundlage für die DIY-Biologie liegt in der Erschwinglichkeit der noch in den 80er-Jahren zum Teil teuren Technik. Heute kaufen sich die Hacker das Equipment auf eBay zusammen oder bauen es schlicht selbst. 2005 sprach ein Autor des Technik-Magazins Wired erstmalig von der „Garagen-Biologie“. Wenige Jahre später gründete sich die Online-Plattform DIYbio.org, die seither Biohacker auf der ganzen Welt ähnlich vernetzt wie der Chaos Computer Club.
Und auch das Image der Bio-Hacker ist in der Öffentlichkeit ähnlich schlecht wie das der Hacker am Computer. Bio-Hacking klingt nach dunklen Kellern, nach Katastrophenfilmen und verrückten Wissenschaftlern mit Allmachtsfantasien. Dabei ist Bio-Hacking bereits seit einigen Jahren international auf dem Vormarsch. Viele Forscher bauen sich ihre Labore selbst, konzeptionieren Projekte ganz ähnlich wie Johann und sein Team für die unterschiedlichsten Ziele. Manche suchen nach der Formel für die Heilung diverser Krankheiten, diagnostizieren sich selbst die Wahrscheinlichkeit für Erbkrankheiten oder versuchen sich an der Herstellung künstlicher Organe. Andere wollen biologische Materialien lieber für Kunstprojekte nutzen.
[imageframe lightbox=“no“ style=“none“ bordercolor=““ bordersize=“0px“ stylecolor=““ align=“none“ animation_type=“0″ animation_direction=“down“ animation_speed=“0.1″]
Tatsächlich sind die Rahmenbedingungen für genetische Arbeiten besonders in Deutschland nicht immer ganz einfach. DNA kann als unbelebtes Objekt problemlos verändert werden. Sobald sie jedoch in eine Zelle gebracht wird und somit echtes Leben ins Spiel kommt, greift das Gentechnikgesetz. Dann muss die Arbeit zwingend in einem Labor stattfinden. Würde Johann seine Petrischale aus dem Fenster halten, würde er streng genommen eine Straftat begehen. Das prekäre Image seines Forschungszweiges nimmt er mit Humor: „Als Biotechnologe hat man eigentlich ein generelles Berufsverbot, wenn man gentechnische Projekte und Ideen umsetzen möchte.“
Dennoch wachsen die Garagenlabore auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden. Den Zugang zu Wissen und Material verschaffen sich die Forscher über das Internet, es ist ihr Baumarkt und ihre Bibliothek. Dass nun so viele Menschen Zugang zur synthetischen Biologie haben, kann man chancenreich oder bedrohlich finden – für revolutionäre Einfälle und kluge Experimente ist es auf jeden Fall fruchtbarer Boden. Der zuweilen umständliche und langwierige Weg über Publikationen, akademische Titel und Fachjournale wird einfach umgangen. Johann sieht sich beim Gedanken an sein Projekt im Positiven mit der menschlichen Natur konfrontiert: „Sobald du den Menschen ein Werkzeug in die Hand gibst, fangen sie als erstes an, sich selbst damit zu verbessern.“
Ein Text von Konstantin Nowotny & Johann Bauerfeind