Der IT-Experte Denis Gursky hat es in zwei Jahren vom Maidan-Demonstranten zum obersten Innovations-Berater der ukrainischen Regierung geschafft. Seine NGO SocialBoost entwickelt Apps, um Menschen wieder für Politik zu begeistern

Das Büro von Denis Gursky liegt im 18. Stock des höchsten Wolkenkratzers der Stadt. Beim Eintreten in den minimalistisch eingerichteten 500 m² Co-Working-Space, gibt eine durchgängige Glasfront den Blick auf den Westen der Millionenmetropole Kiew frei.
Gursky ist 34 Jahre alt, wirkt aber jünger. Er arbeitete jahrelang in Washington D.C für eine große internationale Organisation, bevor er noch vor der Maidanrevolution zurück in die Ukraine geht. Als der Maidan 2013 zu einem Protestcamp umgewandelt wird, beteiligt sich Gursky aktiv an den Demonstrationen. Er entwickelte eine App, in der Demonstrant*innen angeben können, ob sie sich in Sicherheit befinden.
In Kooperation mit den Vereinten Nationen programmiert Gursky die App „Re-Donbass“. Bürger*innen aus dem umkämpften Osten haben ab jetzt die Möglichkeit, nächtliche Bombenangriffe und Schießereien pro-russischer Soldaten zu dokumentieren. Die Daten sollen später der ukrainischen Regierung dabei helfen, Kriegszerstörung zu kartographieren und zu beheben.

Vom Aktivisten zum Innovations-Berater der Regierung

Mit der Post-Maidain Regierun um Arsenij Yatsenyuk wird die Digitalisierung und die Nutzung Big-Data-orientierter Technologien über Nacht Stützpfeiler einer neuen Regierungspolitik. Yatsenyuk will die bis dahin überwiegend papierbasierte Verwaltung der Ukraine reformieren und vorhandene Datensätze offen zugänglich machen.
Denis Gursky bekommt deswegen einen Anruf aus der Yatsenyuk-Regierung. Der Auftrag: Alle Ministerien in Sachen Digitalisierung unterrichten. Sein Auftritt auf dem Regierungsparkett überzeugt den Ministerpräsidenten so sehr, dass er den 30-jährigen prompt zum Beauftragten einer umfassenden Open-Data-Reform ernennt.
Vier Jahre später ist die Ukraine digitaler Vorreiterin in Sachen Open-Data. Ziel ist, Menschen zu ermöglichen, möglichst barrierearm auf Informationen zugreifen zu können. Paradoxerweise zählt die Ukraine deswegen, obwohl immer noch hochgradig korrupt, zu den transparentesten Ländern der Welt. In der Ukraine gibt es über 330 offen einsehbare Internetseiten, wo Bürger*innen die Verteilung von Regierungsbudgets, nationale Gesetzesvorlagen oder Unternehmensregister einsehen können.

Big Data hilft bei der Demokratisierung

Mit Startkapital aus den USA gründet Gursky 2016 schließlich seine NGO SocialBoost, die internationale IT-Unternehmen, die schlausten ukrainischen Computer-Geeks und nationale Regierungsvertreter miteinander verbinden will. Gursky erklärt, dass SocialBoost unter dem Slogan der “Civic Technology” grundlegende Probleme löst und der angeschlagenen ukrainischen Wirtschaft auf die Beine hilft.

Zwei Millionen Ukrainer*innen in 63 Städten nutzen beispielsweise die Plattform Participatory Budget System. Bürger*innen können hier ihren lokalen Abgeordneten mitteilen, welche Projekte sie gerne mit ihrem Steuergeld unterstützen würden. Soll es eine neue Bibliothek, ein neuer Spielplatz oder die Renovierung einer Kultureinrichtung sein? Um Missbrauch und Manipulation durch Bots zu vermeiden, werden alle Nutzer mit ihrer Kreditkarte registriert. Gursky und sein Team wissen daher auch genau, wer die Plattform benutzt. Für die technikbegeisterten Ukrainer*innen steht der Datenschutz aber nicht an erster Stelle.
Mit weiterem US-Startkapital haben Gursky und sein Team zuletzt die Plattform „1991 Open Data Incubator“ gestartet. Über 100 Start-Ups konnten seitdem insgesamt mehrere Millionen Dollar für ihre jungen Unternehmen gewinnen. Ganz im Sinne der „Civic Technology“ baut eines der Unternehmen Drohnen, die landwirtschaftliche Felder abfliegen, um Pestizidmissbrauch zu erkennen. Ein anderes lässt Autofahrer Schlaglöcher in einer App melden, die dann direkt an die staatliche Straßenbaubehörde geschickt werden. Mehr als 100.000 Menschen machen hier mittlerweile mit.

Tech-Vorreiterin Ukraine

Hört man Gursky in seinem Büro zu, wägt man sich im digitalen Schlaraffenland. Er zeigt mit der Hand auf ein Gebäude in der Ferne, es ist das Innenministerium. Er versichert, dass heute der Technologiesektor und die Regierung eng zusammenarbeiten. Alles dank des Euromaidans. Vorher hätten Tech-Unternehmer, die die Regierung besser machen wollte, keine Chance gehabt, mit ihren Wünschen durchzudringen. Natürlich gebe es weiterhin hohe staatliche Regulierungen, dazu die Korruption. Gursky ist sich aber sicher: Die Ukraine sei, auch dank seiner Arbeit, eindeutig auf dem richtigen Weg. Die Ukraine ist in der kurzen Zeit seit dem Maidan zum digitalen Vorbild für andere zentral- und osteuropäische Länder geworden. Davor hätten Tech-Unternehmer, die die Regierung besser machen wollten, keine Chance gehabt, mit ihren Wünschen durchzudringen, sagt er.  

Natürlich gebe es weiterhin hohe staatliche Regulierungen, dazu die Korruption. Gursky ist sich aber sicher: Die Ukraine sei, auch dank seiner Arbeit, eindeutig auf dem richtigen Weg.