Die Regelungen zum Geschlechtseintrag im Personenstandsregister sind verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht Anfang November. Gesetzliche Änderungen können für intersexuelle Menschen einen Schritt zur mehr Anerkennung und Gleichberechtigung bedeuten.

 

Es gibt nicht nur zwei biologische Geschlechter. Das müsste bis 2018 dank des Bundesverfassungsgerichts auch beim Gesetzgeber ankommen.

Intersexualität ist keineswegs eine absolute Seltenheit. Eines von 4.500 Kindern ist nicht eindeutig den Geschlechtern männlich oder weiblich zuzuordnen. Bei anderen werden nicht bei der Geburt, sondern erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter Unterschiede erkennbar. Ihre Körper entsprechen nicht den medizinischen Geschlechtskategorien. 8.000 bis 12.000 intersexuelle Menschen leben laut der Bundesregierung in Deutschland. Die Statistiken gehen aber weit auseinander. Das Problem liegt in der schwierigen Datenerhebung. Denn ein Eintrag als „inter“ im Geburtenregister war bisher nicht möglich, gab es doch nur die Wahl zwischen männlich, weiblich und — seit vier Jahren — der Option „offen“.

2013 wurde das Personenstandsgesetz schon einmal geändert. Jedoch beschränkte sich die Änderung darauf, dass bei einem nicht eindeutigen Geschlecht der Geschlechtseintrag lediglich frei bleiben darf. Diese Option bringt für die Betroffenen aber Nachteile mit sich. So kann diese „Lücke“ beispielsweise die Einreise in andere Länder erschweren — Pässe ohne Geschlechtseintrag sind nicht üblich. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) fürchtet erschwerte Einreise-kontrollen. Aber auch die Definitionen des Begriffes Intersexualität variieren und erschweren die Erstellung von Statistiken. So berücksichtigte die Bundesregierung in ihrer Zählung lediglich „schwerwiegende Abweichungen der Geschlechtsentwicklungen“.

Die Richter in Karlsruhe sahen die bisherigen Regelungen zur Erfassung der Intersexualität als unvereinbar mit dem Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), also als verfassungswidrig, an. Außerdem sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs 1 GG) verletzt.

Privatdozentin Dr. Katharina Mangold, die zurzeit an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität eine Lehrstuhlvertretung übernimmt, begrüßt das Urteil als progressiv.

Binnen eines Jahres müssen neue Lösungen gefunden werden. Der Gesetzgeber könnte in Zukunft einen dritten, „positiven Geschlechtseintrag“, wie die Richter es formulierten, schaffen. Andererseits gäbe es die Möglichkeit eines Verzichts auf eine Eintragung (also mehr als einem Auswahl des Geschlechts) im Personenstandsregister. Bis es eine neue gesetzliche Regelung gibt, sind Verfahren, in denen eine andere Eintragung als männlich oder weiblich begehrt wird, auszusetzen.

Katharina Mangold hat eine klare Präferenz für die Neuregelung: „Wir müssen den Geschlechtseintrag loswerden. Das ist eine Form staatlicher Klassifizierung von Menschen direkt nach der Geburt.“

Für sie sei dies eine Information, die der Staat nicht erheben müsse. Der Beschluss des Verfassungsgerichtes und die kommenden Änderungen des Personenstandsrechts sind ein erster, wichtiger Schritt für die Normalisierung von Intersexualität. Die Verfassungsrichter betonten, dass auch die Geschlechtsidentität von Menschen schützenswert sei, die sich nicht dem binären Geschlechtersystem zuordnen ließen. Die Formulierung im Urteil, so Mangold, lasse jedoch offen, durch wen die Zuordnung erfolge. Sie befürchtet eine zu starke Ankopplung an biologische Kriterien: „Eine Rückkehr zu Biologismus und medizinischer Oberhoheit muss verhindert werden.“ Die Richter erklärten, dass die geschlechtliche Identität für „alle Menschen eine Schlüsselposition in der Selbst- und Fremdwahrnehmung“ einnehme, „deshalb ist auch die geschlechtliche Identität jener Menschen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.“ Intersexualität wird in Zukunft also nicht mehr mit einer gesetzlichen Lücke gleichbedeutend sein. Auch wenn Deutschland damit in Europa Vorreiter wird, was die Anerkennung eines dritten Geschlechts angeht, hatten sowohl der Ethikrat als auch die UN Änderungen des Gesetzes schon seit Jahren gefordert.