Fever Ray in der Columbiahalle – Weniger ist manchmal mehr

Jahrelang hatte man von Karin Dreijer, die durch The Knife weltweit bekannt wurde und zeitgleich ihr queerpolitisches Soloprojekt Fever Ray startete, nichts gehört. Vollkommen überraschend kündigte sie im November 2017 nach acht Jahren das neue Album Plunge und eine zweite Welttournee an. Innerhalb weniger Tage war das Konzert in Berlin restlos ausverkauft. Am Mittwochabend spielte Fever Ray in der Columbiahalle. Eine Konzertkritik.

Fünf bunt gekleidete Personen betreten die ebenso farbenfroh beleuchtete Bühne der Columbiahalle. Für einen Moment fragt man sich, welche der Frauen überhaupt Fever Ray ist. Denn neben zwei Perkussionistinnen gibt es an diesem Abend drei Frauen am Mikrofon. Eine im blauen Pailletten-Body, die andere in einem ausgestopften Bodybuilderkostüm. Die acht Jahre Pause sind an Fever Ray nicht ohne Spuren vorbeigegangen: Die Haare hat sich Karin Dreijer abrasiert und sie trägt ein „I Love Swedish Girls“ Shirt, auf dem die das „Swedish“ demonstrativ durchgestrichen hat. Dazu eine kurze weiße Hose, die an eine überdimensionale Windel erinnert. Ihr Gesicht ist leichenbleich geschminkt und die Augen und Lippen sind schwarz umrandet. Dreijer setzt mit ihrem Aussehen ein Zeichen gegen Genderklischees und klassische Schönheitsideale.

Regenbogen statt Nebel

Nicht nur das Aussehen von Karin Dreijer hat sich seit 2009 verändert, auch Songtexte und Show erstrahlen wortwörtlich in neuem Licht. Die mystische, nebelige, schwarz-graue Inszenierung der Debut-Tournee wurde für Plunge durch ein bunt flirrendes Bühnenbild ersetzt. Der Einsatz der regenbogenfarbenen Lichter bekommt vor allem vor dem Hintergrund der Lyrics eine tiefere Dimension: Gender, (Homo-)Sexualität und Dating sind der rote Faden in Plunge.

Fuck, Fuck, Fuck

Mit ihrer kindlich hohen, schrillen Stimme, für die Dreijer bekannt ist, singt sie über sexuelle Phantasien („Your lips, warm and fuzzy, I want to run my fingers up your pussy“). Zwischendurch setzt sie politische Statements für kostenlose Abtreibung und gegen Atomenergie und das unter dem Einsatz gefühlt Tausender „Fucks“ („This country makes it hard to fuck“). Dazu experimentelle elektronische Klänge und Perkussion. Was raus kommt, ist ein schwer definierbares Genre. Experimenteller Avantgarde-Elektro-Synth-Pop könnte treffend sein.

Im Wechsel werden Songs vom 2009er Debut-Album und dem neuen Album Plunge gespielt. Auch wenn man die Lyrics wiedererkennt, sind die meisten Songs von der Studioversion abgewandelt. Zur Hälfte des Konzerts mischt sich plötzlich ein Latino Beat unter, der stark an Samba erinnert. Dieser scheint in „I’m Not Done“ weder hinzugehören, noch bringt er die für den Samba bekannte rhythmische Tanzbarkeit unter das Publikum. Als der Sambabeat endlich aussetzt und man bei „To The Moon And Back“ nahezu zum Mitwippen motiviert wird, macht es die Bridge von „IDK About You“ wieder kaputt: Wirre, unrhythmische Klänge lassen einen glauben, man hätte sich auf ein Scooter Konzert verirrt.

Die Performance, die vielversprechend begann, wird allmählich zu einem Kasperletheater, dessen politische Message sich zwischen konfusen Klängen und flackernden Lichtern verstecken zu scheint. Ob es an der fehlenden Interaktion mit dem Publikum liegt oder an der Neuinterpretation von Songs, die diese nicht gebraucht hätten, der Funke springt einfach nicht über.

Aus und vorbei

Als das Konzert nach ziemlich genau 60 Minuten abrupt endet, ist das Erlösung und Enttäuschung zugleich. Nach einigen Minuten Applaus gibt es dann aber doch noch eine Zugabe. Als „If I Had A Heart“ anklingt, hat man zum ersten Mal an diesem Abend das Gefühl, tatsächlich auf einem Fever Ray Konzert zu sein. Für wenige Minuten entsteht hier etwas, das man Atmosphäre nennen könnte und insgeheim hofft man, dass das Konzert jetzt erst richtig losgeht. Doch dem ist nicht so. Nach einem weiteren, letzten Song ist das Konzert nach nicht einmal 80 Minuten endgültig aus und vorbei.

Es gibt Bands, die auf ihren Konzerten alle Erwartungen übertreffen und dessen Studioaufnahmen im Vergleich zur Live Performance mickrig und fahl klingen. An diesem Mittwochabend muss ich eines lernen: Fever Ray zählt leider nicht dazu. Zu einem guten Konzert gehört weitaus mehr – in diesem Fall hätte es weniger vielleicht aber auch getan – als ein tiefgründiger Songtext allein.

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