Das Land der begrenzten Möglichkeiten

Wie sieht studentischer Protest in den USA aus? Beim Besuch der University of Chicago gibt es mehr Fragen als Antworten. Eins ist sicher: Bildungschancen in den USA sind in der Regel von Geldbeutel und Hautfarbe der Eltern abhängig.

Ein grauer Märzmorgen in Chicago. Es ist sieben Uhr, als ich zu meiner Cousine Rebecca und ihrem vierjährigen Sohn ins Auto steige. Unser Ziel: Die University of Chicago, eine der renommiertesten Hochschulen des Landes und Rebeccas Arbeitsplatz. Seit 2005 ist sie dort Professorin am Orientalischen Institut. Es geht am Lake Michigan entlang, dann verlassen wir über den Highway 41 den Norden der Stadt mit seinen großbürgerlichen Wohnhäusern, streifen Downtown Chicago und die ikonischen Wolkenkratzer, bis wir den Stadtteil Woodlawn erreichen. „Hier gehe ich nie mit Lucas spielen, es ist zu gefährlich”, erklärt Rebecca und zeigt auf einen Spielplatz, bevor wir die Uni erreichen. „Zu viele Drive-by shootings!“

Wie ein UFO liegt der Campus der elitären University of Chicago in unmittelbarer Nähe zur berüchtigten South Side. In sicheren Händen wähnt Rebecca ihren Sohn im universitätseigenen Kindergarten, der dank Mitarbeiterrabatt „nur“ 1200 Dollar im Monat kostet. „Trotzdem viel zu teuer“, stöhnt Rebecca und schüttelt den Kopf.

In Chicago wird deutlich, wie stark der Geldbeutel und die Hautfarbe der Eltern die Zukunft eines US-Kindes beeinflussen.  Ein Studium an der Uni hier kostet insgesamt etwa 75 000 Dollar – das können sich vor allem Wohlhabende leisten, zu denen in den USA immer noch hauptsächlich die weiße, angelsächsische Bevölkerung gehört. Fast die Hälfte der Studierenden sind weiß, nur ungefähr fünf Prozent schwarz. Die Uni-Nachbarschaft, Woodlawn, ist zu 85 Prozent schwarz. Die Aufstiegschancen eines jungen Schülers, mal in die Elite-Uni nebenan zu gehen? Sehr gering. Das liegt auch daran, dass die öffentlichen Bildungseinrichtungen in den USA  – von der Kita bis zum Community College – vor allem über die lokale Grundsteuer finanziert werden. Auf ärmliche Häuser werden wenig Steuern gezahlt, und so fließt auch wenig Geld in die lokalen Bildungseinrichtungen. Kinder müssen in ihrem Viertel zur Schule gehen, als Alternative bleibt nur die private Einrichtung.

Wie es mit dem Engagement amerikanischer Studierender aussieht, möchte ich von Christina Uzzo, Mitglied des Student government der University of Chicago wissen. Wir treffen uns im neu eröffneten Café Logan. Christina ist weiß, so wie alle anderen Gäste im Café –  schwarze Bedienungen reichen uns den Kaffee. „Es gibt viele Arten von studentischem Protest“, erklärt Christina. „Es gibt Gruppen, die sich gegen Rassismus wenden, für eine staatliche Krankenversicherung einstehen und gleiche Bildungschancen für alle fordern.  Mir persönlich ist das Klima besonders wichtig. Ich setzte mich dafür ein, dass die Universität ihr Stiftungsvermögen von 6 Milliarden Dollar nicht in Fonds anlegt, die in fossile Brennstoffe investieren – bisher leider ohne Erfolg, ich wurde immer abgewimmelt“.

Christina macht klar, dass langfristiges Engagement an der Uni schwierig sei, da der Druck, das Studium aufgrund der hohen Gebühren schnell durchzuziehen, enorm groß sei. Zudem durchlebten die US-Amerikaner*innen „verrückte Zeiten“. Selbst wenn Studierende und Professoren Missstände kritisierten, fänden diese Ideen keinen Anklang in der breiten Gesellschaft. Trump sei nur die Spitze des amerikanischen Eisbergs aus Antiintellektualismus. Zu lange hätten Liberale und Akademiker den „gemeinen Amerikaner“ von oben herab behandelt – jetzt räche sich diese Arroganz. Außerdem gelte noch bei vielen Amerikaner*innen das Narrativ, dass es jeder aus eigenem Antrieb schaffen könne. Warum dann für die Bildung eines Anderen zahlen? Dieser solle sich einfach mehr anstrengen.

Christina erkennt an, dass die USA kein Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind. Trotzdem verliert sie nicht ihren Optimismus, den sie aus ihrer liberalen Heimatstadt in Nordkalifornien mitgebracht hat. „Gerade Trump und seine Anhänger haben bei vielen jungen Menschen zu verstärktem politischem Engagement geführt“, so die junge Klimaaktivistin, bevor wir uns verabschieden. „Ich werde nicht aufhören, mich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen.“

 

Illustration: Marielle Manhardt