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-Eine Filmkritik-

Morgens geht Filippo Malgradi ins Parlament. Er trägt dann einen dunklen Anzug und er geht schnell, schneller als alle anderen, als die Touristen und Journalisten, die an dem kleinen Hügel gemächlich über das krumme Kopfsteinpflaster spazieren. Malgradi (Pierfrancesco Favino) muss an ihnen vorbei in den Palazzo Montecitorio. Malgradi ist hier eine wichtige Persönlichkeit. Er ist Politiker. Er hat einen klaren Auftrag und der kommt vom Volk.

Suburra heißt der neue Film von Stefano Sollima, dem Regisseur, der schon bei der international erfolgreichen Serie Gomorrha so grausam und gleichsam geschickt über die Mafia erzählt hat. Doch diesmal geht es nicht um die wüste Gewalt Neapels, sondern um die kriminellen Strukturen in der italienischen Hauptstadt. Einige Politikverdrossene und rechtspopulistische Norditaliener, für die Rom irgendwo zwischen Afrika und der Toskana liegt, wissen es ja schon lange: Rom ist die Stadt mit Regierungssitz, ergo ist Rom auch die Stadt der Verbrecher. Auf italienisch klingt das auch noch schön: Roma ladrona.

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Gemeit sind Politiker wie Malgradi. Abgeordnete, die sich mit Parlamentariern anderer Parteien streiten, an Abstimmungen teilnehmen, Gesetze verabschieden.Nur nicht im Namen des Volkes, sondern von irgendeinem mächtigen Menschen, der dem Land Böses will. Es lässt sich auch schlecht ehrlich und aufrichtig arbeiten bei all der Korruption, den Intrigen und Skandalen, den Drohungen und Verrohungen im Staatsapparat. Es lässt sich schlecht diskutieren mit Neo-Faschisten und Populisten, mit Bunga-Bunga und Rambazamba im Palazzo.

Überhaupt, sind sich die Abgeordneten parteiübergreifend nur in einem Punkt einig: Die nächste Regierungskrise kommt bestimmt. Malgradi weiß das. Deshalb strengt er sich gar nicht erst richtig an. Deshalb nutzt er die Macht, die er noch hat. Abends, wenn Frau und Kind schlummern, trifft sich Malgradi gerne mit Prostituierten. Er mietet ein Zimmer, nimmt Drogen, geht dann schon mal nackt auf den Balkon und steht eine Weile einfach so da. Zugedröhnt im römischen Regen. Er pinkelt. Das tut gut. Unter ihm die Piazza del Popolo, der Platz des Volkes. So viel zu seinem Auftrag.

Die Praktiken der Mafia und ihr Einfluss auf die Regierung in Rom sind ein unbequemes Thema und Suburra legt den Finger sehr tief in die Wunde. Die Buchvorlage zum Film stammt von dem Juristen Giancarlo De Cataldo und dem Investigativjournalisten Carlo Bonini. Wie schon bei Roberto Savianos Gomorrha werden auch in Suburra reale Rechercheergebnisse in den fiktiven Stoff verwebt. Vor dem Hintergrund des Mafia-Skandals, der die Hauptstadt vor etwa zwei Jahren ganz real erschüttert hat, wirkt der Film noch schonungsloser. Den Müll, die Korruption und die Könige von Rom – Moment mal, das gibt es ja wirklich!

Der moderne Mafioso sitzt nicht mehr im sizilianischen Dorf, inmitten von Feigenkakteen und mit seiner Schrotflinte im sonnenbeschienen Schaukelstuhl. Diese Erkenntnis sickerte durch die Darstellung in Büchern und Filmen über die neue organisierte Kriminalität nun auch in die Köpfe derjenigen Italiener, die immer wenig zugänglich für derartige Erkenntnisse waren. Der moderne Mafioso, so ist es auch in Suburra, trägt einen Seitenscheitel und eine Brille. Er ist gut vernetzt und verirrt sich auch mal ins Parlament. Nicht immer persönlich, wohl aber über Bekannte.

Bekannte hat Malgradi jetzt auch. Denn blöderweise ist in der Nacht und während seiner Pinkel-Performance im Hintergrund eine Prostituierte an einer Überdosis Heroin verschieden. Minderjährig. „Miststück“, sagt Malgradi dazu. Aus Angst vor einem öffentlichen Skandal lässt er den Tod vertuschen. Von der Mafia. Allerdings stimmt das nur halb, denn Malgradi weiß nicht wirklich, wen er da beauftragt, die Leiche zu beseitigen und wüsste er es, er würde sie sicher nicht so nennen. Dass diese Menschen nicht immer Brille tragen, sondern furchteinflößende Tattoos, rätselhafte Spitznamen, Glatzen und bissige Hunde im Vorgarten haben, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Schließlich möchte er eigentlich nur noch ein millionenschweres Bauvorhaben für den Endgegner unter den Mafiosi (Claudio Amendola) durchs Parlament bringen.

Dabei verscherzt Malgradi es sich allerdings zunehmend mit den anderen, unfreiwillig gewählten Freunden und versackt fortan immer tiefer im Schlamassel. Man kann es der Mafia aber auch nicht recht machen. Es entspinnt sich ein Netz von Allianzen mächtiger und rivalisierender Clans. In den Nebenrollen Staatsvertreter und – wir sind ja in Rom – Würdenträger des Vatikans.

Suburra zeichnet dieses Geflecht mit gutem Gefühl für Rhythmus sehr präzise nach und zweifellos weiß der Mafia erprobte Regisseur Sollima ebenso genau, welche Bilder er dazu zeigen kann. Die, mit dem knurrigen Boss und dem Goldkettchen, der zwar von allen respektiert und doch hinterrücks Zigeuner genannt wird. Die, mit den Sexszenen, die einzig als Machtdemonstration dienen, die, mit der kruden Folter im flackernden Neonlicht.

Es ist wie in Gomorrha, nur nicht spannend. Der Film ist sicher kein Thriller, hat eher etwas Tragödienhaftes, etwas Tieftrauriges. Dennoch rollt die gesamte Handlung mit viel Knall und wenig Knistern auf die Katastrophe zu. Wirklich ergreifend wird es erst, als der Mafioso vor dem sich während des gesamten Films alle fürchten, der der Samurai genannt wird, zuhause mit der Mamma ein Süppchen isst.

Die Geschichte gibt sicher mehr her und wird auch deshalb schon als erste italienische Eigenproduktion von Netflix als Serie erwartet. Auch ohne Schrotflinte und mit Seitenscheitel lebt der Mythos Mafia.

Suburra – Regie von Stefano Sollima, nach dem gleichnamigen Roman von Carlo Bonini und Giancarlo de Cataldo mit Pierfrancesco Favino, Elio Germano, Claudio Amendola, Alessandro Borghi, Greta Scarano u.a.

Kinostart 26.01.2017