Das Leben – neongrüne Wünsche, aschgrau verpackt. Mit seinem Film Einen schönen Tag (Hao ji le) noch zeichnet Liu Jian ein Zeitbild des modernen Chinas, in dem Träume von einem besseren Morgen nur noch als deren zynische Abziehbilder existieren. 15 Jahre ist es her, dass zuletzt ein Animationsfilm im Rennen um den Goldenen Bären war. Ein schweres Erbe, das Hao ji le jedoch souverän antrat: Anspruchsvolle Animationsfilme sind wieder in die erste Reihe der Berlinale zurückgekehrt.

Nur noch die Kräne künden von einem Fortschritt, an dem hier niemand mehr glaubt. Der Regen hat sämtliches Leben aus dieser namenlosen Millionenstadt irgendwo im Süden Chinas gewaschen. Inmitten von streunenden Hunden, leeren Straßen und lieblos hochgezogener Betonbauten sehen die Neonlichter der Internet-Cafés und Clubs wie Irrlichter aus. In dieser von Liu Jian geradezu spröde gezeichneten Welt ist es nicht verwunderlich, von welchem Licht sich die Menschen, wie Fliegen angelockt, verbrennen lassen: Ein Koffer mit Geld.

Der Kurier Xiao Zheng stiehlt seinem Boss eine Millionen Yuan, um seiner Freundin nach einer misslungenen Schönheitsoperation einen zweiten Eingriff in Südkorea zu ermöglichen. Weit kommt er damit jedoch nicht: Jeder wittert in dem Koffer den entscheidenden Wink des Schicksals, woraus sich schnell eine Jagd entwickelt, die am Ende niemanden verschont lässt, der sein Leben nur allzu gläubig den roten Scheinen anvertraut. Andere Aussichten gibt es nicht. Wenn Gott und Buddha unter der Frage gegeneinander aufgespielt werden, welcher der beiden wohl den größten Nutzen abwerfe, verkommt Religiosität zur Excel-Kalkulation. Und selbst die modernen Wunschbilder à la Steve Jobs oder Bill Gates verblassen hinter den verbalen Nippes wie „Folge deinem Inneren“, welche die Protagonisten ihnen in die Münder legen. Doch an eben dieser Innerlichkeit mangelt es nicht nur den selbsternannten Goldschüfern, sondern dieser heillosen Welt überhaupt. Liu Jian macht hierbei keineswegs an der Grenze Chinas halt. So schimmert immer wieder die westliche Welt als Fluchtpunkt auf, die es, ob mit Gebeten oder hunderttausenden Dollar pro Semester, unbedingt zu erreichen gilt. Spätestens mit der Sieges-Ansprache Trumps, die durchs Autoradio tönt, wird die bleierne Ungewissheit zum Galgenhumor.

Der betont flächig-mechanische Zeichenstil des Films erweist sich in dieser Hinsicht als konsequente Rahmung seiner Handlung, schadet mitunter aber auch dem Erzählfluss. Seltsam mutet da die Sequenz an, in der sich die Handlung kommentarlos für mehre Minuten hinter dem leicht wechselnden Farbverlauf einer Meeresoberfläche zurückzieht, so als wolle der Regisseur seinem papierenen Kinobild Tiefenwirkung und Dynamik zurückgeben. Alles rennt und doch bewegt sich nichts in dieser urbanen Wüste. Unter diesem Gesichtspunkt erklärt sich auch ein Zitat aus Tolstois Roman „Auferstehung“, mit dem Liu Jian seinen Film beginnen lässt:

Wie sehr die Menschen sich mühten, nachdem sich einige Hunderttausend von ihnen auf einem kleinen Raum angesammelt hatten, die Erde, auf der sie sich drängten, zu verunstalten, wie sehr sie den Boden mit Steinen zu rammten, damit nichts darauf wüchse, wie eifrig sie ihn von jedem hervorbrechenden Gräschen reinigten, wie sehr sie mit Steinkohlen, mit Erdöl die Luft verpesteten, wie immer sie die Bäume beschnitten, alle Tiere und Vögel verjagten – der Frühling war Frühling, sogar in der Stadt.

Sicher, der Frühling mag auch in diese Stadt einziehen, jedoch nur als entkernte Wiederholung verpasster Chancen. Wenn nach all den zerstörten Illusionen der Film schließlich mit seinem Titel „Einen schönen Tag noch“ abblendet, unterlegt von den funkigen Bässen der chinesischen Pop-Punk Band New Pants, windet sich Zynismus in seinem nur schillerndsten Zeichenstil.

 

BZQ-Punkte: Wer China zuletzt mit dem Pomp der Olympia-Eröffnung 2008 verbindet, darf hier in beherzt zugreifen!

Kuschelfaktor: So kuschelig wie schwarzer Humor nun mal sein kann.

Prokrastinationspotential: Auch ohne Chinesisch-Kenntnisse die Versuchung wert.

UnAuf-Punkte: 4,5 von 5

 

Regie: Liu Jian. Mit: Zhu Changlong, Yang Siming, Cao Kou, Ma Xiaofeng, Cao Kai, Zheng Yi

Foto:

© Liu Jian