Fürchtet euch nicht?

Menschen haben Angst. Angst vor EHEC, Schweinegrippe und Terrorismus. Die Medien  tragen nicht selten dazu bei, diese Ängste geradezu beabsichtigt zu schüren und befinden sich damit gewissermaßen in einem Spannungsfeld zur Angst. Aber auch die Rezipient*innen sind nicht unschuldig.

Unter dem Thema „Fürchtet euch nicht? Wie Medien der Angst in der Gesellschaft begegnet sollten“ diskutierten im Rahmen des jährlich stattfindenden Inlandsprojektes der UnAufgefordert, Vertreter*innen der Medienbranche in einer Podiumsdiskussion.

 

Warum haben wir Angst?

„Menschen haben Angst, weil andere Angst haben“, konstatiert Sven Stockrahm, Wissenschaftsredakteur von Zeit Online, zu Beginn der Diskussion. Das Lernen aus eigenen Fehlern sei schließlich nur deshalb so schmerzhaft, weil es stets mit Gefahr verbunden sei. Also machten wir es uns bequem und lernten aus den Erfahrungen anderer – denn das habe sich auch in der Evolution als vorteilhaft erwiesen. Darum fürchteten wir einfach das, was andere fürchten. An sich sei das etwas Gutes, fährt Stockrahm fort. Das ändere sich jedoch, sobald die Angst in Panik umschlage.

Sven Becker, Investigativjournalist beim Spiegel, behauptet: „Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht kennen oder kontrollieren können.“ An den Folgen von Herzkreislaufkrankheiten  stürben jährlich doppelt so viele Menschen wie an Krebs. Doch das mache uns weniger Angst, weil wir zu verstehen glaubten, wie das Herz funktioniere – nämlich wie eine Pumpe. Ist es defekt, sind wir es auch. Ob und wann einen Krebs befalle, sei unvorhersehbar; letztlich hätten wir keinen Einfluss darauf. Und genau dies mache den Menschen Angst. Genauso verhalte es sich mit der Angst vor dem Terror: Die Furcht davor, bei einem Anschlag ums Leben zu kommen, sei stark in der Bevölkerung verbreitet. Doch stehe sie in keinem Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, tatsächlich Opfer eines Anschlags zu werden.

Sabine Schiffer, Gründerin des Instituts für Medienverantwortung, setzt dem entgegen: „Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass wir Angst vor dem hätten, was wir nicht kennen. Das stimmt jedoch nicht. Vielmehr haben wir Angst vor den Dingen, die uns nahegebracht werden.“ Was Schiffer damit meint? Wir würden heute in einer Posterfahrungsgesellschaft leben, in der wir vieles nicht selbst erfahren, sondern bloß vermittelt bekommen, erklärt Stockrahm.

 

Welche Rolle spielen die Medien nun genau im Zusammenhang mit der Angst?

Fällt das Triebwerk eines Flugzeugs aus, würde darüber niemand berichten, weil Triebwerke von Flugzeugen nun mal ausfallen können, ohne dass es für den Flugpassagier bemerkbare Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ist am Tag vorher jedoch ein Flugzeug abgestürzt, wird die Nachricht vom Triebwerkausfall plötzlich zur direkten Gefahr. Ohne die begleitenden Umstände wäre über den eigentlichen Anlass nie berichtet worden. In solchen Fällen sind das Problem die Journalist*innen, die ihre Aufgabe fälschlicherweise auch darin sehen, Gegebenheiten zu interpretieren, statt sich ausschließlich auf die objektive Berichterstattung zu beschränken. Dabei besteht die Gefahr, dass sie Zusammenhänge sehen, wo keine sind, und Schlussfolgerungen ziehen, die Ängste in der Bevölkerung verursachen.

 

Spekulationen müssen als solche kenntlich gemacht werden

Vorschnelle Bewertungen dürfen nicht dazu führen, dass wie beim EHEC-Fall falsche Nachrichten in die Welt gesetzt werden: Die Vermutung, spanische Gurken seien die Träger des EHEC-Keims, wurde so breitgetreten und damit faktisch als Tatsache deklariert, dass infolgedessen die gesamte spanische Agrarindustrie in die Krise stürzte. Später stellte sich die Vermutung als falsch heraus. Daher müssen Spekulationen als solche kenntlich gemacht werden.

Medien steuern unsere Ängste

Im Vergleich zu spanischen und französischen Medien berichteten deutsche Medien doppelt so oft über Risiken wie BSE, Schweinegrippe oder Asbestverseuchung. Die vermehrte Konfrontation mit diesen Themen spiegelt sich dementsprechend auch in der Bevölkerung wider, und zwar in Form von Angst. Auch über die Art und Weise, wie Medien über Geschehnisse informieren, werden unsere Ängste gesteuert: Würden Zeitungen nur auf den hinteren Seiten über Terroranschläge berichten, hätten wir weniger Angst.

Schiffer bringt vor, dass Angstdebatten oft ihren wahren Kern besäßen, aber längst nicht über alle Dinge, die Angst bereiten können, auch berichtet würde. Jedes Jahr sterben in Deutschland 50.000 Menschen an Infektionen, die sie sich im Krankenhaus zugezogen haben. Weltweit sterben jährlich Millionen von Babys infolge von verunreinigtem Trinkwasser. Das sind akute Gefahren, die die Menschheit wirklich bedrohen. In den Zeitungen ist davon kaum etwas zu lesen. Diese Problematik stellt einmal mehr die Frage in den Raum, wie Journalist*innen sauber arbeiten sollen, wenn allein schon die Auswahl von Themen und Fakten subjektiv ist, problematisiert Becker.

Eine Rolle bei der Verbreitung von Angst spielt vor allem auch die heute geforderte Schnelligkeit in den Medien. Vor allem durch die neuen Medien verbreiten sich Nachrichten in einer unglaublichen Geschwindigkeit und erreichen damit eine große Zahl von Menschen. Hinzu kommt, dass in den sozialen Netzwerken jeder in der Lage ist, sich zu einem aktuellen Thema zu äußern. In den öffentlichen Diskursen werden dadurch falsche Akzente gesetzt: Wenig beachtete Themen werden dabei nämlich kaum berücksichtigt und das Ausdiskutieren von ohnehin schon intensiv medial behandelten Themen verstärkt Angstgefühle bei den Beteiligten. So entsteht ein gemeinschaftliches Gefühl  von Panik. Online-Artikel, die nichts über die Relevanz des Themas aussagen, werden geteilt. Veraltete Videos werden herausgekramt, weil sie zum Anlass passen. Fake News werden in die Welt gesetzt. Auf diese Weise formen auch die Medienkonsumierenden die Nachrichtenlandschaft und tragen zu der Panik in der Bevölkerung bei. Mit der Wahl der  Inhalte spielen die Medien mit dem menschlichen Empfinden für Bedrohung, Nähe und Mitleid. Sinkt der Neuigkeitswert einer Nachricht, lässt die Einfühlung des Medienkonsumenten nach. Trifft hingegen Angst auf Empathie, hat dies die stärkste emotionale Auswirkung auf den Verbraucher. Nachgewiesenermaßen werden negative Nachrichten ausführlicher rezipiert und besser behalten als positive.

An der Angst schürenden Nachrichtenlage muss sich etwas ändern. Letztlich richtet sich der Appell nicht nur an die Journalist*innen und Medienmacher*innen. Becker fordert auch die Verbraucher zu mehr Distanz zum Dargestellten auf – für ein aufgeklärtes Medienverständnis und ein reflektiertes Konsumverhalten.