Unsere Autorin hat die Schwulenbar „Stiller Don“ im Prenzlauer Berg besucht, 25 Jahre nachdem ihr Vorgänger „hera“ darüber einen Bericht verfasst hat. Sie hat mit größerem Andrang gerechnet. Tatsächlich war es ein Besuch beim Stammtisch.

 

Autor “hera” schrieb 1992 über den Stillen Don:

Interessante Dreifaltigkeit – Café, Kneipe, Galerie

„Stiller Don“ – Treffpunkt nicht nur für Schwule im Prenzlauer Berg

Als „kritisch und komisch“ bezeichnen sie sich selbst, die Betreiber des „Stillen Don“. Damit meinen sie wohl auch diejenigen, die täglich den Weg in die Erich-Weinert-Str. 67 nehmen, um als breiter Strom im „Stillen Don“ zu münden. An der ab 19 Uhr für alle geöffneten Tür steht Kneipe, und so ist Bier das durchaus am meisten georderte Getränk. Grölende Saufbrüder allerdings wird man hier selten finden, eher „fein- und kunstsinnige“ Intellektuelle mit einem Hang zum Rustikalen. Die Konzession an das „Kunstsinnige“ des Publikums sind die großflächigen, bunten, abstrakten Originalzeichnungen, die die Wände schmücken und wie man hört vom Barmann persönlich geschaffen wurden. Sicher kann man über deren künstlerischen Wert geteilter Meinung sein, und damit bietet sich schon ein Gesprächsthema an. Die Kneipe ist also auch Galerie.

Wenn man Café als Synonym nicht nur für das schwarze anregende Gebräu nimmt, sondern auch für eine Stätte des freundschaftlichen Gesprächs mit Freunden und solchen, die es werden könnten, so ist dieser Titel durchaus treffend für den „Don“.

Wer im „Stillen Don“ ein schwules Ghetto anzutreffen glaubt, sieht sich schnell getäuscht. Sicher, eine gewisse dominante Präsenz ist offensichtlich, aber ob einem nun am Tisch ein schwuler/lesbischer Mensch gegenüber sitzt, dessen kann man sich nie sicher sein – und das ist gut so.

Aber, bevor der Mensch Kunst, Kultur und Konversation betreiben kann, muß er was im Magen haben. Im „Don“ gibt es neben dem üblichen Fast-Food-Angebot auch mehrere Varianten eines großen Salattellers. Für 8 DM bekommt man eine so riesige Portion, daß sie u.U. und je nach Art der Nähe der Nächstsitzenden für zwei oder drei Grünkostgänger reicht. Wem der Sinn mehr nach einem gemütlichen ruhigen Gespräch bei Kerzenschein steht, der sollte schon am frühen Abend kommen, denn ab 21 Uhr füllt sich der Raum derart, daß der „Don“ über die Ufer zu treten droht. Dann gleicht die Szenerie eher einer etwas lauten Stehparty. Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, und ein Sitzplatz, sofern man darauf besteht und noch keinen besitzt, findet sich schnell – und ein Gesprächspartner, so man keinen hat und nicht ganz kontaktscheu ist, auch!

Am günstigsten zu erreichen ist der „Stille Don“ mit der S- oder U-Bahn bis Bahnhof Schönhauser Allee oder mit der Straßenbahn (auf neudeutsch Tram) Nr. 70. Diese Angaben sind natürlich ohne Gewähr.

Von hera in der UnAuf Nummer 34 (irrtümlich im Innenteil der Ausgabe als Nummer 33 geführt) vom 3. Februar 1992.

 

Unsere Autorin Lena besucht die gleiche Kneipe 25 Jahre später:

Als ich Silvia Edelhoff nach den kunstsinnigen Intellektuellen frage, schlägt sie nur die Augen nieder, schaut mich wieder an und scheint zu sagen „Ich bitte dich“. Es ist Samstagabend, kurz vor sieben und ich habe mich in der leeren Kneipe, im Stillen Don, zu Silvia, ich solle doch bitte Silvie sagen, an den Tisch gesetzt. Nach der Frage scheint sie mir einige grundlegende Dinge erklären zu wollen. Sie hat den Stillen Don vor einem Jahr zusammen mit ihrer Tochter Laura übernommen. Vor ein paar Tagen haben sie Einjähriges gefeiert, davon brummt ihr noch heute der Schädel. Der vorige Besitzer „hatte keinen Bock mehr. Hat keinem Schwein gesagt, dass er geht.“ Dann hat sie den Laden erstmal „entschwult”, hat eine Kiezkneipe daraus gemacht. Entschwult heißt: Dass jedes noch so anrüchige Foto von den Wänden genommen wurde und der schwulen Montag nunmehr Vergnügungstag für jedwede sexuelle Orientierung bietet.

Und die Kunst, ob die vom Barmann sei? An den Wänden hängen Malereien, die größtenteils mehr oder minder bedeckte Frauenkörper zeigen. Sie schüttelt ungläubig den Kopf, dabei wackeln die roten kleinen Paprikas an ihren Ohren. Die Kunst hat sie erst an die Wände gebracht. Vorher waren hier nur die Fotos, die jeden Phallusängstigen die Flucht ergreifen ließen. Demnächst plant sie eine Ausstellung mit alten Plattencovern. Weil ich es aber doch genau wissen will, ruft sie Hackie an. Die kennt den Laden schon lange. Für ein Schnitzel kommt Hackie auch eher. Aber den Salatteller gibt es nicht mehr? Nein, kein Essen, nur für die Stammgäste manchmal. „Die Hygienetypen machen mich wahnsinnig und dann hab ich auch keine Lust zu kochen. Die Leute sollen hier saufen. Aber ordentliches Zeug! Mixgetränke bekommt man bei mir nicht.“ Ob mein Vorgänger mit „dem Hang zum Rustikalen“ wohl eine deftige Berliner Schnauze meinte?

Inzwischen ist es halb acht und Rainer kommt. Während Silvie sein Bier zapft und dann in der Küche nach den Schnitzeln sieht, sitzen wir uns betreten lächelnd gegenüber in dem leeren Barraum. Er wiegt sich auf dem hohen Hocker vor und zurück. Weil ein kleiner Wimpel seinen Tisch als Stammtisch kennzeichnet, muss er ja auch schon länger dabei sein. Ob er regelmäßig komme, frage ich ihn. Früher nicht so, seit einem Jahr schon. Und jetzt wo er in Rente sei noch lieber. Also erst seit Silvies Übernahme? Warum? „Ach, der vorige Besitzer hatte manchmal so schlechte Laune.“ Dabei lächelt er, als würde er ihm das nicht übelnehmen wollen.

Und dann tritt Hackie ein. Sie drückt mir kräftig die Hand und erklimmt ihren Hocker am Stammtisch, dreht sich gleich eine Zigarette. Hackie ist um die fünfzig und kennt den Stillen Don seit seiner Gründung vor 25 Jahren. Damals war sie noch Studentin. Ich versuche es noch einmal mit der Kunst. Die war von Freunden vom Barmann, erfahre ich, aber irgendwann gab es die auch nicht mehr, der hatte da nicht so Lust drauf. Ob sich was geändert habe mit Silvie? Ne, mit Tilo, dem alten und einzigen Besitzer war das eben anders, mehr schwules aber auch lesbisches Publikum. Heute ist es gemischter, eine richtige Kiezkneipe. Ist ruhiger geworden. Aber sonst ist alles gleichgeblieben. Dann nicken alle drei und blasen stumm den Rauch in den Raum. Ich habe das Gefühl, als Einzige nicht die Erinnerung teilen zu können.

Ich sehe mich um. Tatsächlich scheinen die weichen alten Sofas, die wackligen Tische, die dunkelrote Wandfarbe, der rote Stern über dem Spiegel, ja selbst das Volksbühnen Flugzeug, das im unteren Barraum an der Decke hängt, die staubigen Erinnerung vom Übermut vergangener Tage auszuatmen.

Dann erzählen alle von Weihnachten, da gab es eine wilde Party! Und Silvester! Und am 1. Juni, das Einjährige! In zwei Wochen wird Lauras 30. hier gefeiert. Jeder kann hier feiern! „Dann bringen alle was zu essen mit und es wird gesoffen“, sagt Silvie. „Wie eine Familie“, bemerke ich. Ja, dem stimmen alle zu. Wenn einer mal länger nicht kommt, dann macht man sich schon Sorgen. Das Motto sei auch fein. klein. familiär. bohème.

Und an solchen Abenden, wenn nicht gefeiert wird? Dann wird geredet – „aber nicht über Politik, Sport und Religion, nicht an meinem Tresen!“, poltert Silvie. „Als ob! Dann gibts mal Krach und nach zwei Tagen redet man wieder“, sagen Hackie und Rainer. Familie eben.

Dann kommt Toaster, auch er Stammgast seit Studienzeit. Als ob sie nur noch auf ihn gewartet hätte, tischt Sylvie Spargelsuppe auf, alle löffeln still. Es ist mittlerweile neun Uhr abends, von der Stehparty ist der Barraum weit entfernt. Ich frage mich, wo all die Kiezleute bleiben, die in den Google Bewertungen ein Loblied auf den Stillen Don singen. Beim Hauptgang verabschiede ich mich.

Es ist still geworden im stillen Don. Fünfundzwanzig Jahre sind eben eine lange Zeit.