Joseph Beuys hat alles gegeben. Er hat doziert, geboxt und einem toten Hasen die Kunst erklärt. Bei allen anderen hat er es auch versucht. Der Mann mit dem Hut reibt sich ein ganzes Leben lang auf.  Viele halten ihn für vollkommen verrückt.

Die Dokumentation „Beuys“ vom Regisseur Andres Veiel ist das Portrait eines Künstlers, der in Deutschland lange Zeit falsch verstanden wurde. Während Beuys als erster Deutscher eine Einzelausstellung im Guggenheim Museum in New York bekam, wurde sein Werk in seiner Heimat mehrheitlich als „teuerster Sperrmüll aller Zeiten“ verstanden. „Was halten Sie von der Kunst von Beuys?, fragt ein Reporter einen Ausstellungsbesucher. Seine Antwort ist eine Gegenfrage: „Wissen Sie, wann der aus der Klapse gelassen wurde?“

Der Künstler selbst kämpft gegen diesen Ruf an. Auf seine Art. Er setzt sich in Talkrunden, lässt sich beschimpfen, kontert und grinst dabei übers ganze Gesicht. Denn Beuys hat das Ziel seiner Provokationen nicht verfehlt. Die Debatte um seine Kunst, das mit Filz überzogene Klavier, seine berühmten Fettecken, es ist das, was er will: „Ja. Ich will das Bewusstsein der Menschen erweitern.“ Beuys will einen „erweiterten Kunstbegriff“.

Er selbst bezeichnet sich auch dann nur als Künstler, wenn jeder Mensch ein Künstler ist. Die Entwicklung der Kunst verläuft seiner Meinung nach nicht organisch. Der Galerist will Geld. Beuys will die „soziale Plastik“, alles, nicht nur das materiell fassbare Artefakt, sei Kunst. Ein neues, alle Konventionen sprengendes Denken über Kunst soll her. Eine Revolution. Warum er dauernd alles ins Lächerliche ziehen müsse, wird Beuys von einem Anzugträger gefragt, „Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?“. Grinsen.

Andres Veiel, zweifelsohne ein großer Fan von Beuys, hat erstaunliches Material aus den Archiven aufgestöbert. Bislang unerschlossenes Bild-und Tonmaterial von Beuys zeigt, über 30 Jahre nach dem Tod des Künstlers, wie weit er seiner Zeit voraus war. Die Aussagen von Beuys haben eine Aktualität, die ein bisschen beängstigend ist. Vor allem, wenn man Beuys in die tief liegenden und weit aufgerissenen Augen schaut.

Das Wesen des Künstlers ist vom Krieg verwundet. Einen Flugzeugabsturz hat der junge Beuys nur wie durch ein Wunder überlebt. Ganz genesen ist er nicht. Sein ehemaliger Mitbewohner erzählt, wie er manchmal über mehrere Tage sein Zimmer nicht verlassen hat. Er hatte nicht einmal mehr Lust auf Kunst. Später heißen seine Installationen „Zeige deine Wunden“ oder „Inneres Elend“.

Doch Beuys hat einen starken Lebenswillen. Nicht aus Überzeugung, sondern eher aus Trotz. „Der Mensch muss verschleißen“, sagt er einmal und fügt wieder einmal grinsend hinzu „wäre doch schade, wenn er ohne zu verschleißen abkratzt.“ Rückschläge nimmt er hin. Etwa als die neu entstandene Partei „Die Grünen“, an die er fest glaubte, für die er warb und für die er kandidieren wollte, ihn absägte. Oder als der Professor Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf entlassen wurde, nur weil er alle Studienbewerber in seiner Klasse immatrikulieren wollte und das Sekretariat besetzte. Das Gesamtkunstwerk von Beuys hat politische, gesellschaftliche und moralische Debatten angestoßen und nur wenige Zeitgenossen konnten das honorieren.

Die Dokumentation „Beuys“ lässt den Künstler selbst sprechen. Das ist eindrücklich und höchst aufschlussreich. Schade nur, dass ihm immer wieder Wegbegleiter ins Wort fallen, die Andres Veiel in den Film einbaut. Das wäre nicht nötig gewesen und erinnert ein wenig an eine oftmals langweilige Nachruf-TV-Doku von öffentlich rechtlichen Sendern. Mit Beuys alleine ließen sich sicher auch ganze Filme füllen. Schnell vergessen, kann man diesen Künstler nicht. Eine sehenswerte Dokumentation über Beuys, den Vernünftigen.

 

 

BZQ-Punkte: Studierende der Fachbereiche Kunst, Sozialwissenschaften, Geschichte: Ab ins Kino! (alle anderen, s. Prokrastinationspotential)

Prokrastinationspotential: Beuys fasziniert.

Kuschelfaktor: Beuys kuschelt gerne mit toten Hasen und lebenden Kojoten. Zählt das?

UnAuf-Punkte: 3 von 5

 

Beuys – Regie und Buch: Andres Veiel.

 

Foto:

Ute Klophaus © zeroonefilm/ bpk_ErnstvonSiemensKunststiftung_StiftungMuseumSchlossMoyland