Abschlussfilm der  diesjährigen Berlinale ist das Drama „Ana, mon amour“ des rumänischen Regisseurs Călin Peter Netzer, der bereits 2013 für seinen Film „Mutter & Sohn“ den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele gewinnen konnte. Ebenso wie „Mutter & Sohn“ ist auch sein nunmehr vierter Spielfilm im postsowjetischen Rumänien angesiedelt.

Im Mittelpunkt des Films steht die Beziehung zwischen Toma (Mircea Postelnicu) und Ana (Diana Cavallioti). Die beiden lernen sich während ihres gemeinsamen Literaturstudiums kennen, und dass mit Ana etwas nicht stimmt, erfährt Toma gleich bei ihrem ersten Date; Sie leidet unter heftigen Panikattacken, ist psychotisch und verlässt teilweise tagelang nicht ihre Wohnung. Bei einem Disput über Nietzsches Moralphilosophie wird Toma das erste Mal mit einem ihrer Anfälle konfrontiert: Ana hat ihre Pillen vergessen, woraufhin ihr panisch die Luft wegbleibt. Doch Toma schreckt das nicht ab, er kümmert sich rührend um sie, und die zwei verlieben sich ineinander.

Solange Ana in der ersten Zeit der Beziehung ihre Medikamente einnimmt, können die beiden ein normales Studentenleben führen, liegen kiffend in Tomas Bett herum und gehen auf Rockkonzerte. Doch einfach ist es für sie dennoch nicht: Toma vernachlässigt sein Sozialleben, da er sich fast ausschließlich um Ana kümmert, und sie leidet unter den Drogen, unter die die Ärzte sie setzen, teilweise gegen ihren Willen.

Aber Anas psychotischer Zustand ist nur eines der Probleme, die sich ihrer Beziehung in den Weg stellen. Tomas wohlhabende Eltern wollen nicht, dass er sich mit einer „Verrückten“ abgibt, und auch Anas Eltern scheinen wesentlich zu ihrer Psychose beigetragen zu haben, denkt man zum Beispiel an ihren autoritären Vater, mit dem sie sich scheinbar bis sie 17 Jahre alt war ein Bett teilen musste.

War zuerst nur Ana ein psychisches Wrack, belastet die Beziehung und die allgemeine Situation nach und nach auch Toma. Bei ihrem Weg von Psychiater zu Psychiater changiert er stets an der Grenze von Fürsorglichkeit zu Übergriffigkeit. Er unternimmt alles, damit Ana ein menschenwürdiges Leben führen kann, erzählt dann jedoch den Ärzten intime Details über ihre Vergangenheit, die sie lieber geheim gehalten hätte. Doch bald muss auch er feststellen, dass die Beziehung nicht spurlos an ihm vorübergeht. Denn mit einer Hochzeit und einem gemeinsamen Kind ändert sich schlagartig das Licht, das auf diese Beziehung fällt. Und vielleicht klingen Toma die warnenden Worte seines Vaters im Ohr, als er sich plötzlich in einer Autoschlange wiederfindet, von welcher aus er Anas Wagen aus Eifersucht beschattet.

Das ist der Zeitpunkt, in dem deutlich wird: In „Ana, mon amour“ geht es um die Aufarbeitung der Vergangenheit beider Protagonisten. Ganz im Sinne einer freudschen Psychoanalyse werden schlaglichtartig weichenstellende Momente einer Geschichte beleuchtet, die vom Zerbrechen, oder vielmehr dem Nichtzustandekommen einer Beziehung handelt. In einer durchbrochenen Chronologie erfährt der Zuschauer, wie die Jahre die beiden Protagonisten zu dem gemacht haben, was sie letztlich sind. Und schlussendlich kann man sich nicht sicher sein: Wer hat hier wem geschadet? Und: Wie kommt man aus einer Situation heraus, in der die Grenze zwischen Bedürftigkeit und Abhängigkeit nach und nach verwischt?

Regisseur Călin Peter Netzer hat bereits bei der Berlinale 2013 die höchste Auszeichnung der Berliner Filmfestspiele abstauben können.  Mit entsprechend hohen Erwartungen ist sein neuer Film „Ana, mon amour“ ins Rennen um den diesjährigen Goldenen Bären gegangen. Dass die Jury ihm nun „nur“ den silbernen Bären für den besten Schnitt verliehen hat, ist dennoch ein großer Erfolg.

 

BZQ-Punkte: Bereits der Anfangsdialog ist ein Einstiegsprogramm für Friedrich Nietzsche, später im Film gibt’s dazu noch ein Literaturseminar über Surrealismus. Nicht zu vergessen allerlei Wissenswertes über die freudsche Psychoanalyse!

Prokrastinationspotential: Der Film ist teilweise recht anstrengend zu schauen. Durch die vielen chronologischen Schnitte fällt es schwer, sich entspannt in die Handlung des Films fallen zu lassen. Dennoch nimmt einen die Geschichte sicher so sehr mit, dass man seine Lerninhalte für ein paar Stunden vergessen kann.

Kuschelfaktor: Die romantischen Szenen im Film werden immer wieder vom Ernst des Lebens durchbrochen. „Ana, mon amour“ ist definitiv kein Liebesfilm mit Happy End!

UnAuf-Punkte: 4 von 5

Regie: Călin Peter Netzer. Mit: Mircea Postelnicu, Diana Cavallioti, Carmen Tănase, Vasile Muraru, u.a.

 

Foto:

© Călin Peter Netzer