Jeder Mensch macht Fehler – und das auch bei ganz alltäglichen Dingen wie bei der Müllentsorgung, der Altersvorsorge und im Straßenverkehr. Als Folge kommt es zu Umweltverschmutzung, Altersarmut und Verkehrsunfällen. Der Lösungsansatz ist Nudging (engl.: „schubsen, stupsen“), das einem einen Stoß in die „richtige“ Richtung geben soll, ganz ohne Zwänge und Nebenwirkungen.

Grundannahme des Nudging ist, dass Menschen emotional handeln. Der Homo oeconomicus, wie wir ihn aus unseren Wirtschaftsvorlesungen kennen, existiert in der Realität nicht und demnach handelt kein Mensch vollkommen rational. Nudging bedient sich exakt dieser menschlichen Eigenschaft – der Irrationalität. Empirische Studien aus der Psychologie werden genutzt, um Verhalten zu erforschen und anschließend zu steuern. Bürger sollen durch kleine Psychotricks in eine Richtung gelenkt werden, die den Nutzen und das Wohl der Allgemeinheit maximiert.

Aus der Privatwirtschaft kennen wir schon lange Methoden, die durch gezielte Strategien unser Unterbewusstsein beeinflussen. Raffinierte Produktplatzierung bspw. kann Verkaufsquoten rasant in die Höhe treiben. Doch auch der Staat und die Politik wollen Nudging zukünftig mehr nutzen. So werden in Deutschland bald Tabakwaren verkauft, auf denen abschreckende Bilder abgedruckt sind. Dadurch soll der Konsum des gesundheitsgefährdenden Genussmittels gesenkt werden. „Die Idee ist, dass die Regierung in manchen Fällen Methoden anwenden darf, die die Wahlfreiheit der Leute garantieren, die aber auch einen paternalistischen Ansatz haben, weil sie die Leute in eine Richtung bewegen, die ihr Leben ein wenig besser macht“, argumentiert Cass Sunstein, der den Begriff des Nudging prägt wie kein anderer.

Beim 16. Ökonomischen Symposium des Humboldt-Forum Wirtschaft e.V. zum Thema „Facetten der Macht“ diskutierten eingeladene Experten aus Wirtschaft, Politik und Justiz, sowie Studierende der HU über Nudging. In den Wirtschafts- und Politikwissenschaften kann Nudging sehr effektiv eingesetzt werden, dennoch stellt sich die Frage ob der Grundsatz der staatlichen Transparenz durch Nudging gefährdet wird. Kritisch ist, ob Forschungserkenntnisse über die psychologische Beschaffenheit eines mündigen Bürgers ohne Einverständnis ausgenutzt werden dürfen. Liegt es nicht im Verantwortungsbereich jedes einzelnen sich um seine Sicherheit und Gesundheit zu kümmern? Ist aus ökonomischer Perspektive der Output eines Staates tatsächlich so wichtig, dass die individuelle Entscheidungsfreiheit übergangen werden darf?

Besorgt äußert sich Robert Lepenies, Philosoph und Ökonom: Es handele sich bei Nudging nicht um neutrale Politikinstrumente, sondern um Methoden, die das Handeln beeinflussen, ohne dass sich das Individuum darüber bewusst ist. Nudging gibt uns keinen Handelsgrund, sondern es bestimmt unser Verhalten. Im Gegensatz zu Rechtsnormen ist Nudging nicht angreifbar und stelle eine Gefahr für die Selbstbestimmung des Individuums dar.

Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, ist Befürworter für den Einsatz von Nudging. Für ihn handele es sich nicht um Manipulation. Es gehe darum, in bestimmten Situationen Schutz für Verbraucher zu garantieren, ohne zu harten Regulierungen zu greifen. Nudging werde oft falsch verstanden. Es soll nicht den Menschen in seinem Handeln hintergehen, sondern dort eingreifen, wo dem Menschen unbemerkt geschadet wird.

Wir brauchen mündige Bürger – nicht manipulierte.

Ein anderes Licht auf Nudging wirft Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: „Wir brauchen mündige Bürger – nicht manipulierte“. Menschliche „Schwächen“ wie Unentschlossenheit und Irrationalität werden durch Nudging ausgenutzt, um uns unbewusst dort hin zulenken, wo man uns haben will. So werde man nach und nach entmündigt.

Eine ganz neue Dimension von Nudging ist in anderen Teilen der Welt längst an der Tagesordnung: Big Nudging. Programme durchforsten endlose Mengen von Daten und sammeln Informationen über Konsumenten. In den USA werden so auch ganz selbstverständlich Informationen über Wähler gesammelt. In China soll es bald ein „Social-Score-System“ geben, das über jeden Mensch einen sozialen Punktestand erstellt.

Auch wenn die Meinungen zum Thema Nudging weit auseinander gehen, eine gemeinsame Meinung haben alle Diskussionsteilnehmer: So weit wie in den USA und in China wird es in Deutschland nicht kommen.

Der Text stammt aus der UnAuf Nr. 236