Viel Zeit und einen starken Magen. Beides muss mitbringen, wer sich auf die Ausstellung Reden ist nicht immer die Lösung“ des israelischen Videokünstlers Omer Fast im Martin-Gropius-Bau einlassen möchte. Es lohnt sich, findet unsere Redakteurin Luise Mörke.

Ausländerbehörde, Außenstelle Gropius-Bau: Eine vergessene Winterjacke liegt zerknüllt herum, der Getränkeautomat ist defekt, eingeritzte Botschaften auf den Rückseiten der Plastikstühle und ein einsamer Pappbecher mit Resten von Cappuccino-Schaum weisen auf anonyme Vorgänger hin. Das eigentliche Ausstellungsobjekt, eine Videocollage mit Clips amerikanischer Nachrichtenprogramme aus den frühen 2000ern, läuft in Endlosschleife auf einem kleinen Bildschirm. Die Schnipsel sind so zusammengeschnitten, dass Wetterberichte und Katastrophenmeldungen zu persönlichen, an den Besucher gerichteten Botschaften werden.

Dieser erste von insgesamt sieben Räumen ist programmatisch für das Ausstellungskonzept, in dem die Grenzen zwischen wirklich und künstlich sowie zwischen Kunst und kuratorischem Werk ihre Gültigkeit verlieren. Bezeichnenderweise sind sogar die ausliegenden Broschüren wie billige Klatschmagazine gestaltet. Wer diese Tarnung übersieht, ist eigentlich im Vorteil. Zu den bemerkenswerten Leistungen und zum Reiz der Ausstellung gehört nämlich, dass sogar der völlig unbedarfte Besucher zahlreiche Querverbindungen entdecken und auf diesem Weg zu einer eigenen Interpretation der Einzelwerke und der gesamten Ausstellungsgestaltung gelangen kann. Voraussetzung dafür ist Zeit – 231 Minuten umfassen die gezeigten Werke insgesamt. Wer allerdings hofft, sich innerhalb einer Stunde einen schnellen Überblick verschaffen zu können, wird die Ausstellung nicht nur verwirrt verlassen, sondern sich zudem die spannenden Storys entgehen lassen. Mittendrin weitergehen fällt angesichts von Arbeiten wie Spring“, einer Fünf-Kanal-Installation von 2016, aber ohnehin schwer. Irgendwo zwischen Familiendrama, Gangsterstory, Kriegskritik und Psychothriller anzusiedeln, weisen die Erzählstränge innerhalb der Arbeit genau jene fesselnde Unvorhersehbarkeit auf, die das Feuilleton am sonntäglichen Abendprogramm der ARD so schmerzlich vermisst. Einen Protagonisten gibt es dabei nicht, stattdessen tun sich immer wieder unerwartete Verbindungen auf und die Handlung verwebt sich zu einem dichten Netz menschlicher Tragödien. Der gebannt folgende Zuschauer klammert sich an Details wie die wiederholt auftauchende Brötchentüte oder ein Bündel Geldscheine, um den Zusammenhängen folgen zu können.

Von bloßer Videokunst kann angesichts der Symbiose, die kuratorische und künstlerische Leistung in der Ausstellung eingehen, kaum noch gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um eine erfahrbare Parallelwelt, die unsere Gegenwart in einem surrealen Zerrbild widerspiegelt. Eine Art Hyperrealismus, der sich in Hollywoods Wiederentdeckung des 3D-Kinos unschuldig angekündigt hat, und nun in Omer Fasts Videokunst seine zynische Vollendung findet.

Omer Fast: August, 2016
Omer Fast: “August”, 2016

Apropos 3D: Einmal muss man als Besucher sogar zur schwarz getönten Brille greifen. Der Kurzfilm August“ zeigt einen greisen Fotografen, der des Nachts von Erinnerungen an sein passives Verhalten während des NS-Regimes und seinen in der Haft gestorbenen, kommunistischen Sohn heimgesucht wird. Ganz gleichgültig wen Sie fotografiert haben, Ihre Kamera blieb immer ruhig, distanziert.“, bewundert ihn der Bürokrat in NSDAP-Uniform. Seine unpolitische Haltung scheint der fiktive Fotograf am Lebensende bitterlich zu bereuen. Steckt hierin eine Absage Omer Fasts an das Unpolitische in der Kunst? Sein Werk jedenfalls legt eine solche Interpretation nahe: Es geht darin vor allem um Selbstverleugnung, Lügen, Gewalt und die Traumata des Krieges. Angesichts solcher Themen muss auch der Ausstellungsbesucher so einiges verkraften. Abschrecken lassen sollte er sich davon jedoch auf keinen Fall, denn im Gegenzug wird in ihm das einzigartige Gefühl hervorgerufen, jegliche Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Fiktion weit hinter sich lassen zu können und eine überspitzte Version der eigenen Realität zu betreten.

Die Ausstellung Reden ist nicht immer die Lösung“ mit Videoarbeiten des Künstlers Omer Fast ist noch bis zum 12. März 2017 im Rahmen der Berliner Festspiele im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Ein reguläres Ticket kostet 11 Euro, für Studierende ermäßigt 7 Euro.